Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
Hoch-Lord möge gestorben sein, wie er's verdient hatte, in Frieden und Ehren. Mit dem mentalen Äquivalent eines säuerlichen Achselzuckens ging er daran, die eine Person am Tisch der Lords zu mustern, die nicht stand. Dieser Mann war wie ein Krieger gekleidet, trug schwarze Beinkleider mit langen, weichsohligen Stiefeln, ein schwarzes, ärmelloses Hemd unter einer Brustplatte aus gelblichem Metall sowie einen gelben Stirnreif; die Brustplatte jedoch besaß das diagonale schwarze Zeichen, das ihn als den Streitmark auswies, den Oberbefehlshaber des Kriegsheeres, über das die Lords verfügten. Er sah niemanden an. Er saß in seinen steinernen Sitz gelehnt da, den Kopf gesenkt, die Augen mit einer Hand überschattet, als ob er schlafe. Covenant wandte sich ab, ließ seinen Blick willkürlich durch die Klause weiterwandern. Hoch-Lord Elena besprach sich gedämpft mit den Lords in ihrer unmittelbaren Nähe. Mhoram wartete neben der breiten Treppe, die hinauf zum Haupteingang führte. Die Akustik der Ratskammer trug Covenant das leise Stimmengewirr von der Galerie zu, so daß die Luft über seinem Kopf zu munkeln schien. Er wischte sich Blut aus den Brauen und dachte ans Sterben. Es wär's wert , überlegte er. Letztendlich würde sich eine Flucht lohnen. Er war nicht zäh genug, um auszuhalten, wenn sich sogar seine Träume gegen ihn kehrten. Vielleicht sollte er das Leben den Leuten überlassen, die für so etwas die Kräfte besaßen. Ach, Hölle und Verdammung! seufzte er bei sich. Hölle und Verdammnis!
Wie aus der Ferne hörte er die großen Portale der Klause aufschwingen. Sofort verstummte das Gemurmel in der Luft; alle Anwesenden wandten sich zum Eingang und blickten hinüber. Covenant zwang sich dazu, einiges von seiner verminderten Kraft aufzubieten, und drehte sich, um zu sehen, wer kam. Der Anblick bereitete ihm einen grausigen Schrecken und schien den letzten Rest von Festigkeit aus seinen Knochen zu rammen. Aus blutigen Augen sah er zwei Bluthüter die Treppe herabsteigen, die zwischen sich ein graugrünes Geschöpf aufrecht hielten, das Furcht auszuschwitzen schien. Obwohl sie sie durchaus nicht roh behandelten, schlotterte die Kreatur vor Entsetzen und Widerwillen. Ihre haarlose Haut war von Schweiß schlüpfrig. Sie besaß im allgemeinen menschenähnliche Umrisse, aber der Oberkörper war außerordentlich langgestreckt, und die Gliedmaßen waren kurz, alle gleich bemessen, als ob sie im natürlichen Dasein auf vier Beinen durch niedrige Höhlen laufe. Aber ihre Glieder waren krumm und nutzlos – völlig verkrümmt, als seien sie viele Male gebrochen und nicht wieder gerichtet worden. Und der Rest des Körpers wies noch schlimmere Schäden auf. Der Kopf des Wesens war am wenigsten menschlich. Dem kahlen Schädel fehlten Augen. Überm zerfurchten Mundschlitz, in der Mitte des Gesichts, befanden sich zwei weite, feuchte Nasenlöcher, die furchtsam witterten, als rieche die Kreatur die ringsum gegebene Situation. Hoch auf dem Schädel saßen zwei kleine, spitze Ohren. Doch die gesamte Rückseite des Schädels war fort. Auf der Lücke lag wie eine Narbe eine grüne Membran und pulsierte gegen einen verbliebenen Rest des Gehirns. Covenant wußte augenblicklich, womit er es hier zu tun hatte. Ein derartiges Wesen hatte er schon einmal gesehen – zwar unverstümmelt, aber tot, mit einer spitzen Eisenstange im Herzen am Boden einer Wegrast. Ein Wegwahrer. Wie die Urbösen stammten die Wegwahrer von den Dämondim ab. Doch im Gegensatz zu ihren schwarzen, ungehobelten Verwandten hatten die Wegwahrer ihre Kenntnisse dem Dienst am Lande gewidmet. Dieser Wegwahrer war grausam gefoltert worden. Die Bluthüter brachten das Wesen herab auf die Bodenebene der Klause und vor Covenant. Trotz seiner Schwäche, die bis in sein Innerstes reichte, raffte sich Covenant empor auf die Füße, sorgte dafür, daß er auf den Beinen blieb, indem er sich an die steinerne Umrandung lehnte, die die nächsthöhere Stufe bildete. Anscheinend gewann er bereits etwas von der zusätzlichen Dimension der Wahrnehmungsfähigkeit zurück, die das Land charakterisierte. Er konnte in den Wegwahrer hineinsehen, mit seinen Augen erfühlen, was mit ihm geschehen war. Er sah Qual und ein außergewöhnliches Maß an Schmerzen – sah den vormals gesunden Körper des Wegwahrers umklammert von einer Faust der Boshaftigkeit und mit diebischem Vergnügen auf die jetzt ersichtliche Weise verkrüppelt werden. Die Einsichtnahme war für Covenants Augen
Weitere Kostenlose Bücher