Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
Ohren knapp unterhalb der Stufe von Hörbarkeit mit dem Grollen einer Lawine füllte. Er blickte in Mhorams Augen und wußte, daß er ebenso aufrichtig antworten mußte, er so ehrlich zu sprechen hatte, wie er's konnte. »Ich habe keine Wahl.« Schon dabei wollte er aus Scham am liebsten den Kopf einziehen, aber er zwang sich dazu, dem Blick des Lords standzuhalten. »Ich muß so handeln. Selbst wenn das nicht die einzig richtige Lösung ist ... auch wenn Wahnsinn nicht die einzige Gefahr ist, die in Träumen droht. Selbst wenn ich an diese wilde Magie glauben würde. Ich habe ja nicht die kleinste Vorstellung, wie man sie anwendet.«
Mit gewisser Anstrengung lächelte Mhoram nachsichtig. Aber die Düsternis seines Blicks überschattete sein Lächeln. Er erwiderte Covenants Blick ohne Verunsicherung. Seine Stimme klang nach Trauer, als er antwortete. »Ach, mein Freund, wie wirst du denn handeln?«
Die kritiklose Sanftmut der Frage packte Covenant an der Kehle. Auf soviel Mitgefühl war er nicht gefaßt. »Ich werde überleben«, erklärte er mühsam.
Mhoram nickte bedächtig, im nächsten Moment drehte er sich um und durchquerte den Raum. »Es ist spät für mich«, sagte er an der Tür. »Ich muß gehen. Der Großrat harrt meiner.«
»Warum bist du nicht Hoch-Lord?« rief Covenant dem Lord nach, bevor er hinausgehen konnte. Er suchte nach irgendeiner Möglichkeit, um Mhoram seinen Dank auszudrücken. »Weiß man dich hier nicht zu schätzen?«
»Meine Zeit ist noch nicht gekommen«, lautete Mhorams schlichte, über die Schulter erteilte Antwort. Dann verließ er das Zimmer und schloß hinter sich behutsam die Tür.
5
Dukkha
Covenant kehrte der südwärtigen Fernsicht, die Schwelgenstein ins Land gewährte, den Rücken zu. Er hatte über zahlreiche Angelegenheiten nachzudenken, und es war unmöglich, sich das Herangehen leichtzumachen. Aber schon begannen seine Sinne in Übereinstimmung mit dem Land zu funktionieren. Er konnte die Ernte auf den östlichen Feldern riechen – die Erntezeit stand kurz bevor – und die innere Reife der entfernten Bäume sehen. Er spürte den Herbst in der Art, wie der Sonnenschein sein Gesicht streichelte. Diese Wahrnehmungen erhöhten die Erregung in seinen Adern, aber sie störten seine Bemühungen zur vernunftbetonten Auseinandersetzung mit seiner Situation. Kein Leprakranker , dachte er, sollte in einer so gesunden Welt leben müssen. Doch kein Leprakranker. Dennoch vermochte er eines nicht zu leugnen: Mhorams Darstellung des Dilemmas, in dem die Lords steckten, hatte ihn gerührt. Das Land und die Menschen, die ihm dienten, rührten ihn – obwohl er durch sie vor sich selbst so klein wirkte. Mißmutig verließ er den Balkon und begutachtete das Tablett mit Speisen, das man auf einem Steintisch in der Mitte des Wohnraums für ihn bereitgestellt hatte. Die Suppe und der Eintopf dampften noch und erinnerten ihn an seinen Hunger. Nein. Er durfte sich keine weiteren Zugeständnisse erlauben. Der Hunger war das gleiche wie die Heilung seiner Nerven – Illusion, Irreführung, Traum. Er durfte keine ... ein Klopfen an der Tür unterbrach seine Überlegungen. Einen Moment lang stand er nur unentschlossen still da. Er mochte mit niemandem reden, bevor er mehr Zeit zum Nachdenken gehabt hatte. Doch gleichzeitig wollte er nicht allein sein. Wenn er allein war, drohte der Wahnsinn stets am schlimmsten. In Bewegung bleiben, riet er sich erbittert, nicht umschauen. Er wiederholte damit einen Leitspruch, der ihm bestenfalls zweischneidig gedient hatte. Er ging hin und öffnete die Tür. Im Korridor stand Hile Troy. Er war genauso gekleidet, wie Covenant ihn bereits gesehen hatte, die Sonnenbrille unverändert an ihrem Platz; und noch immer wirkte das Lächeln in seinem Gesicht rätselhaft und scheu. Eine heftige Anwandlung von Unruhe mischte sich unter das Singen von Covenants Blut. Er hatte versucht, an diesen Mann nicht zu denken.
»Komm mit!« sagte Hile Troy. Sein Tonfall zeugte von Befehlsgewalt. »Die Lords tun etwas, das du auch mitanschauen solltest.«
Covenant hob die Achseln, um ein Zittern seiner Schultern zu verheimlichen. Troy war sein Feind – das spürte er. Aber er hatte seine Entscheidung getroffen, als er sich zum Öffnen der Tür entschloß. Trotzig trat er hinaus in den Korridor. Draußen stellte er fest, daß Bannor vor seiner Tür auf Wache stand. Hile Troy entfernte sich mit raschen, selbstsicheren Schritten, wogegen sich Covenant dem Bluthüter
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