Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
verwandelte. Seit einer Zeit, die schon undenklich lange gedauert hatte, als der Lord-Zeuger Berek die Hälfte seiner Hand verlor, stand der Koloß in einsamer, düsterer Wacht oberhalb der Landbruch-Klippe; die ältesten, nur in Andeutungen bekannten Legenden der Alt-Lords berichteten von einem Zeitalter, eben jenem, da der Einbaumwald das Land beherrschte, in welchem diese emporgetürmte Faust den Schatten der Bosheit abwehrte, ihn bannte und dabei nicht wankte, bis der unvermutete Feind, die Menschen, den Einbaumwald zu stark beschnitten hatten, um ihn als Ganzheit noch retten zu können. Daraufhin lockerte der Koloß, erzürnt und durchs Fällen am Einholzwald geschwächt, seine Wehr und ließ den Schatten frei. Von diesem Zeitpunkt an verlor die Erde allmählich die Kraft, den Willen oder die Möglichkeit zur Selbstverteidigung. So fiel die Bürde, dem Verächter zu widerstehen, einem Volk zu, das den Schatten selbst über sich gebracht hatte, und die Erde mußte das Ergebnis des Ringens erdulden, wie es auch ausfallen mochte.
»Doch es war nicht die Bosheit, welcher der Koloß widerstand«, setzte Mhoram seine Erläuterungen fort, sobald er seinen Gesang beendet hatte. »Die Bosheit war das Übel der Menschen. Sie kam mit ihnen aus dem kalten Grausen des Nordens und dem Königreich der Gier im Süden. Nein, der Koloß hielt einen anderen Widersacher fern – drei Brüder, die Bäume und Erde haßten und in der Zerspellten Ebene zu Alter kamen, lange bevor dort Lord Foul seinen Schatten warf. Sie waren Drillinge, Sprößlinge einer Geburt aus dem Leibe einer längst vergessenen Mutter, und ihre Namen lauteten Samadhi , Moksha und Turiya . Sie haßten die Erde und alles, was darauf wuchs, so wie Lord Foul alles Leben und alle Liebe haßt. Als der Koloß seine Wehrkraft aufhob, kamen sie ins Oberland, und in ihrer Lust nach Greueln gerieten sie alsbald unter die Meisterschaft des Verächters. Seit jener Zeit waren sie stets seine hochgestelltesten Diener. Sie haben für ihn Verrat begangen, wenn er das Walten seiner Hand nicht zeigen durfte, und für ihn gekämpft, wenn er seine Heerscharen nicht führen konnte. Samadhi war's, nun Sheol genannt, der das Herz von Bereks Lehnsherren meisterte, ebenso Sheol, der die Kämpen des Landes abschlachtete und Berek, allein und mit gehälfteter Faust, an den Hängen des Donnerbergs zu seinem ungewöhnlichen, verhängnisvollen Handeln trieb. Turiya und Moksha waren's, Herem und Jehannum, die die machtvollen und ernstgesinnten Dämondim zu ihren Bruthöhlen und zur Zeugung der Urbösen verleiteten. Nun sind sie alle drei erneut mit Lord Foul vereint und geifern nach des Landes Verheerung. Doch weh! – weh! meiner Unwissenheit und Schwäche! Ich vermag nicht vorauszusehen, was sie beginnen werden. Ich kann ihre Stimmen hören, lüstern laut aus Begierde nach dem Zerreißen von Bäumen und Versengen von Erde, aber mir entgeht ihre Absicht. Das Land schwebte in so großer Gefahr, weil seine Diener schwach sind.«
Die starke Ausdruckskraft von Mhorams Ton riß Covenant mit, und während er unter ihrem Bann stand, schien die Helligkeit des Sonnenscheins in seinen Augen zu dunkeln. Unwillentlich und voller Grimm empfing er einen Eindruck vom verderbensträchtigen, grausamen Übel, das hinterm reinen Geist des Landes heraufkroch, seinen ungenügend gerüsteten Verteidigern den Untergang androhte. Und als er an sich selbst dachte, sah er nichts als Vorzeichen der Sinnlosigkeit. Andere Menschen, die ihm ihre eigene Schwäche klagten, hatten schon schrecklich durch sein unwiderrufliches und uneingeschränktes Unvermögen gelitten. »Warum?« fragte er barsch, viel schroffer als beabsichtigt. Mhoram wandte sich von seinen persönlichen Visionen ab und hob fragend die Brauen. »Warum seid ihr schwach?«
Der Lord reagierte darauf mit einem verzerrten Lächeln. »Ach, mein Freund – ich hatte bereits vergessen, daß du derlei Fragen zu stellen pflegst. Du nötigst mich zu langen Reden. Ich glaube, könnte ich dir darauf eine kurze Antwort erteilen, wir bedürften deiner nicht in solchem Maße. Doch komm – Speise steht bereit. Laß uns essen. Dann will ich dir die Antwort geben, die ich zu geben vermag.« Covenant äußerte sich abschlägig. Trotz seines Hungers wollte er dem Lande nicht noch mehr Konzessionen machen, ehe er genau wußte, wo er stand. Mhoram musterte ihn einen Moment lang. »Selbst wenn wahr sein sollte«, erwiderte er dann in gleichmäßigem Ton, »was du behauptest
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