Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
die Höhe getürmte Flamme platzte wie eine Gewitterwolke. Die Detonation brachte alles Feuer in der Heiligen Halle zum Erlöschen. Sofort senkte sich über die Lords eine Finsternis, so vollkommen wie im Grab. Gleich darauf leuchteten in den Händen der Bluthüter zwei kleine Fackeln. Ihr schwacher Lichtschein enthüllte Dukkha , wie er neben zwei hingestreckten Lords auf dem Stein lag. Die anderen Lords standen noch an ihren Plätzen, auf ihre Stäbe gestützt, als habe die Anstrengung sie gelähmt. Als er die Lords am Fußboden sah, zog Troy mit heftigem Zischen den Atem durch die Zähne. Seine Finger schienen Covenants Knochen freilegen zu wollen. Doch Covenant duldete den Schmerz, beobachtete die Lords. In aller Eile entzündeten die Bluthüter wieder die vier Fackeln an den Ecken der Estrade. In deren warmen Schein schüttelte einer der Lords – Covenant erkannte Mhoram – seine Betäubung ab und raffte sich auf, um neben seinen zusammengebrochenen Lord-Kollegen niederzuknien. Er untersuchte sie einen Moment lang mit einer Hand, benutzte seinen Tastsinn, um zu ermitteln, welchen Schaden sie genommen haben mochten; dann machte er kehrt und beugte sich über Dukkha . Ringsherum zitterte ein Schweigen unterdrückter Furcht.
Endlich richtete er sich wieder auf, half sich dabei mit seinem Stab. Er sprach mit leiser Stimme, aber seine Worte ließen sich in der ganzen Halle vernehmen. »Die Lords Trevor und Amatin sind unversehrt. Sie haben lediglich die Besinnung verloren.« Er neigte den Kopf und seufzte. »Der Wegwahrer Dukkha ist tot. Möge seine Seele nun Frieden finden.«
»Und uns vergeben«, fügte Hoch-Lord Elena hinzu, »denn wir haben versagt.«
Troy atmete in tiefer Erleichterung auf und ließ Covenant los. Plötzlich empfand Covenant merklichen Schmerz in seinem Oberarm. Das Pochen machte ihn darauf aufmerksam, daß auch seine Hände weh taten. Die Festigkeit seines Halts an der Brüstung hatte sie derartig verkrampft, daß sie sich wie verkrüppelt anfühlten. Die Schmerzen waren heftig, aber er hieß sie willkommen. Er konnte in den verkrümmten Gliedmaßen des Wegwahrers den Tod sehen. Die blauen Flecken an seinem Arm, die schmerzhafte Erstarrung seiner Hände waren Beweise des Lebens. »Sie haben ihn umgebracht«, stellte er matt fest.
»Was hast du denn von ihnen erwartet?« entgegnete Troy in eilfertiger Entrüstung. »Daß sie ihn lebendig und in seinem qualvollen Zustand gefangenhalten? Ihn gehen lassen und alle Verantwortung ablehnen? Ihn kaltblütig töten?«
»Nein.«
»Dann war das die einzige Alternative. Das war der einzige Versuch, der noch Sinn hatte.«
»Nein. Du mißverstehst mich.« Covenant bemühte sich um die richtigen Worte, um sich zu erklären, aber er kam nicht zurecht. »Du begreifst nicht, was Lord Foul mit ihnen treibt.« Er löste seine verkrampften Finger von der Brüstung und verließ die Heilige Halle. Als er seine Räume erreichte, war er noch immer erschüttert. Er dachte nicht daran, hinter sich die Tür zu schließen, und der Streitmark trat mit ein, ohne nach seiner Einwilligung zu fragen. Aber Covenant schenkte seinem ungebetenen Gast keine Beachtung. Er stapfte direkt zum Tablett mit den Speisen, nahm die Flasche, die neben den Schüsseln stand, aus denen es immer noch dampfte, und trank einen ergiebigen Zug, als versuche er die Hitze seines Bluts zu senken. Der Frühjahrswein in der Flasche hatte einen leichten, frischen, etwas bierigen Geschmack; er gurgelte ihn hinab, säuberte seine Innenwelt vom Staub. Er leerte die Flasche, blieb für einen langen Moment reglos, die Augen geschlossen, und ließ das schwache Gefühl von Trunkenheit über sich ergehen. Sobald das klare Licht schwipsiger Anregung die Einschnürung seiner Brust ein wenig gelockert hatte, setzte er sich an den Tisch und fing an zu essen.
»Das hat Zeit«, sagte Troy schroff. »Ich muß mit dir sprechen.«
»Dann sprich«, erwiderte Covenant mit einem Löffel voll Eintopf im Mund. Trotz der hartnäckigen Ungeduld seines Besuchers aß er weiter. Er aß rasch, hielt sich an seine Entscheidung, doch zu essen, ehe Zweifel ihm Reue einflößten. Troy durchmaß für eine Weile mit eckigen Bewegungen das Zimmer, dann überwand er sich und nahm Covenant gegenüber Platz. Er saß so, wie er zu stehen pflegte – in unbeugsamer Aufrechtheit. Die undurchschaubare, schwarzglänzende Schutzbrille betonte die Straffheit der Muskeln an seinen Wangen und an der Stirn. »Du legst es drauf an, es mir
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