Der siebte Kreis des Wissens - Covenant 02
zuwandte. Bannor begegnete seinem Blick mit einem Nicken; für einen Moment sahen sie einander in die Augen. Bannors flaches, braunes, ausdrucksloses Gesicht war um keinen Deut verändert; Covenant konnte nicht einen einzigen Tag zusätzlichen Alters darin erkennen. In seiner lockeren, immer zu allem bereiten Haltung strahlte die Erscheinung des Bluthüters materielle Festigkeit aus, eine handfeste Kompetenz, die Covenant einschüchterte oder wenigstens beeindruckte; und doch spürte Covenant in Bannors zeitloser Unzugänglichkeit sowohl Ungewöhnliches wie auch Trauer. Die Bluthüter sollten zweitausend Jahre alt sein. Durch einen unerhört strengen und anspruchsvollen Eid des Dienstes an den Lords waren sie in einen Zustand von Unveränderlichkeit gezwängt, in dem sie überdauert hatten und weiter überdauerten, während all die Menschen, die sie kannten – darunter die langlebigen Riesen und auch Hoch-Lord Kevin, der sie zu ihrem Schwur inspirierte –, zu Staub zerfielen. Als Covenant nun Bannor ansah, seine so fremdartige Gestalt mit den bloßen Füßen und im kurzen, braunen Gewand, hatte er einen plötzlichen intuitiven Eindruck, als habe sich jetzt eine bislang lediglich unterbewußte Wahrnehmung manifestiert. Wie viele Male hatte Bannor ihm das Leben gerettet? Im Moment konnte er sich darauf nicht besinnen. Er war sich unerwartet darin sicher, daß der Bluthüter ihm mitteilen könnte, was er wissen mußte, daß er dank der Außerordentlichkeit seines zweitausendjährigen Überblicks, durch die unvorhergesehene Macht seines Schwurs um Heimat, Schlaf und Tod gebracht, beraubt um jeden, den er je geliebt haben mochte, das Wissen errungen habe, das Covenant brauchte. »Bannor ...«, begann Covenant.
»Ur-Lord?« Die Stimme des Bluthüters klang so leidenschaftslos wie die Zeit.
Doch auf einmal wußte Covenant nicht, wie er seine Fragen vortragen sollte; er verstand sein Anliegen nicht in Worte zu fassen, die nicht wie ein Angriff auf die unausdenkliche Treue des Bluthüters wirken müßten. »Da wären wir also wieder«, murmelte er daher bloß.
»Der Hoch-Lord hat mich auserwählt, um dich mit meinem Schutz zu versehen.«
»Komm mit!« rief Hile Troy herrisch. »Du solltest das anschauen.«
Covenant mißachtete ihn für einen weiteren Moment. »Ich hoffe«, sagte er zu Bannor, »ich hoffe wirklich, daß diesmal alles besser läuft als beim letzten Mal.« Damit drehte er sich um und folgte Troy durch den Korridor. Er wußte, daß sich Bannor ihm anschloß, obwohl der Bluthüter mit vollkommener Lautlosigkeit ausschritt.
Ungeduldig ging Hile Troy voran ins Innere der Herrenhöh, führte Covenant durch die verschiedenen Stockwerke der Feste. Schnell durchquerten sie hohe, gewölbte Säle, strebten miteinander verbundene Korridore entlang und stiegen Treppen hinunter, bis sie eine Örtlichkeit erreichten, die Covenant wiedererkannte: den langen Rundgang rings um die Heilige Halle, wo die Bewohner Schwelgensteins zu beten pflegten. Er folgte Troy durch eine der vielen Türen auf einen Balkon, der in den gewaltigen Hohlraum hineinragte. Die Höhle glich in ihrer Anlage einem senkrechten Schacht und hatte an ihren Wänden sieben derartige Balkone, einen flachen Boden mit einer Estrade an einer Seite und eine Kuppeldecke; zu weit oben gewölbt, um von den Balkonen aus deutlich erkennbar zu sein. Der Raum lag im Düstern; die einzige Helligkeit kam von vier großen Lillianrill -Fackeln an den Ecken der Estrade. Bannor schloß die Tür und damit den Lichtschein des Korridors aus; in der Dunkelheit klammerte sich Covenant, um angesichts der Tiefe dieser Höhle ein Minimum an Sicherheit empfinden zu können, an die steinerne Brüstung. Er befand sich etliche Dutzend Meter oberhalb der Estrade. Sämtliche Balkone waren nahezu leer. Welche Zeremonie hier auch stattfinden sollte, ihre Durchführung war offensichtlich nicht für die allgemeine Einwohnerschaft Schwelgensteins bestimmt. Auf der Estrade hatten sich bereits die neun Lords eingefunden. Sie standen einander zugewandt im Kreis. Weil sie den Fackeln die Rücken zukehrten, verdunkelten Schatten ihre Gesichter, und Covenant vermochte ihre Mienen nicht zu unterscheiden. »Das ist dein Werk«, sagte Troy mit eindringlichem Flüstern. »Alles andere haben sie bereits probiert. Es liegt an dir, daß sie in ihrer Beschämung zu diesem letzten Mittel greifen müssen.« Zwei Bluthüter mit einer dritten Gestalt in ihrer Mitte betraten die Estrade. Mit einem Ruck
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