Der siebte Schrein
Ihr, was dies ist, Euer Majestät?«
Valentine nickte. »Die Opferaltäre, ja. Wo die Schandtat stattgefunden hat.«
»Richtig«, sagte Magadone Sambisa. »An dieser Stätte wurde auch Huukaminaan ermordet. Ich könnte Euch die Stelle zeigen. Es würde nur einen Augenblick dauern.«
Sie zeigte zu einer ein Stück weiter unten an der Straße gelegenen Treppe, die aus rechteckigen Quadern desselben blauen Steins wie die Plattformen selbst bestand. Über sie konnte man die westliche Plattform betreten. Magadone Sambisa stieg von ihrem Reittier ab und lief rasch hinauf. Auf der obersten Stufe blieb sie stehen und streckte eine Hand nach Valentine aus, als könnte der Pontifex Mühe haben, die Treppe zu ersteigen, was nicht der Fall war. Er war noch immer fast so behende wie in seiner Jugend. Aber der Höflichkeit halber griff er nach ihrer Hand, als sie sie gerade - weil sie sich vielleicht überlegte, daß es ungebührlich für eine Gemeine sein könnte, die Hand eines Pontifex zu berühren - ängstlich wieder zurücknehmen wollte. Valentine beugte sich grinsend nach vorn, ergriff die Hand dennoch und zog sich hoch.
Der alte Nascimonte kam mit raschen Schritten hinter ihm her, und ihm wiederum folgte Valentines Cousin und engster Berater, Prinz Mirigant, auf dessen Schulter der kleine Zauberer Autifon Deliamber vom Volk der Vroon saß. Tunigorn blieb unten. Offenbar war dieser Schauplatz eines uralten Sakrilegs und infamen Gemetzels nichts für ihn.
Die Oberfläche des Altars, von der Zeit aufgerauht und überall mit den Pockennarben von Büscheln struppigen Unkrauts und Verkrustungen roter und grüner Flechten übersät, erstreckte sich endlos vor ihnen, eine ehrfurchtgebietende Fläche. Man konnte sich schwer vorstellen, wie es selbst einer großen Zahl von Gestaltwandlern, diesen schlanken und scheinbar wirbellosen Wesen, je möglich gewesen sein konnte, diese immensen Steinquader an Ort und Stelle zu schaffen.
Magadone Sambisa zeigte zu einer Markierung gelben Klebebands in Form eines sechszackigen Sterns, der rund ein Dutzend Schritte entfernt auf dem Stein angebracht worden war. »Dort haben wir ihn gefunden«, sagte sie. »Jedenfalls zum Teil. Und zum Teil dort.« Links, etwa zwanzig Schritte weiter entfernt, befand sich eine zweite Markierung. »Und dort.« Ein dritter Stern aus gelbem Klebeband.
»Sie haben ihn zerstückelt?« fragte Valentine angewidert.
»Richtig. Man kann die Blutflecken überall sehen.« Sie zögerte einen Moment. Valentine fiel auf, daß sie inzwischen zitterte.
»Alles war da, außer seinem Kopf. Den fanden wir weit entfernt, drüben in der Ruine der Siebten Pyramide.«
»Sie kennen keine Scham«, sagte Nascimonte aufbrausend. »Sie sind schlimmer als Tiere. Wir hätten sie alle auslöschen sollen.«
»Wen meint Ihr?« fragte Valentine.
»Ihr wißt genau, wen ich meine, Majestät. Ihr wißt es ganz genau.«
»Ihr glaubt also, daß dieses Verbrechen das Werk von Piurivars gewesen ist?«
»O nein, Majestät, nein!« sagte Nascimonte und ließ dick aufgetragenen Hohn in seine Worte einfließen. »Wie käme ich darauf? Zweifellos muß es einer unserer eigenen Archäologen getan haben. Sagen wir aus beruflicher Eifersucht, vielleicht weil der tote Gestaltwandler eine bedeutende Entdeckung gemacht hatte und unsere eigenen Leute den Ruhm dafür einstreichen wollten. Glaubt Ihr das, Valentine? Glaubt Ihr, ein Mensch wäre zu dieser Art von abscheulicher Bluttat fähig?«
»Das müssen wir ja eben herausfinden, mein Freund«, sagte Valentine liebenswürdig. »Ich glaube, wir sind noch nicht soweit, daß wir Schlußfolgerungen ziehen könnten.«
Magadone Sambisas Augen quollen ihr fast aus dem Kopf, als wäre sie außerstande, das Schauspiel zu verarbeiten, daß einem leibhaftigen Pontifex Vorhaltungen gemacht wurden. »Vielleicht sollten wir jetzt die Zelte aufsuchen«, sagte sie.
Es war sehr seltsam, dachte Valentine, als sie auf der geröllgesäumten Straße, die zum Lagerplatz führte, bergab ritten, wieder hier in diesem einsamen und unheimlichen Bereich jahrtausendealter Ruinen zu sein. Aber wenigstens war er nicht im Labyrinth. Soweit es ihn betraf, war jeder beliebige Ort besser als das Labyrinth.
Dies war sein dritter Besuch in Velalisier. Der erste hatte vor langer Zeit stattgefunden, als er Coronal gewesen war, während der seltsamen Zeit, als ihn der Usurpator Dominin Barjazid vorübergehend vom Thron gestoßen hatte. Hier hatte er auf seinem Marsch nach Norden,
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