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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Vitalität strotzenden Wangen und glänzenden roten Haarlocken, die ihr auf den Rücken fielen. Jetzt wirkte sie seltsam verkleinert, hager vor Erschöpfung, mit hängenden Schultern, stumpfen und eingesunkenen Augen, teigigem Gesicht, das faltig und nicht mehr pausbäckig wirkte. Ihre dichte Haartracht hatte Glanz und Spannkraft verloren. Er ließ sich sein Erstaunen anmerken, nur einen Augenblick, aber lange genug, daß sie es sehen konnte. Sie richtete sich unverzüglich auf und versuchte, so schien es, etwas von ihrer früheren Vitalität auszustrahlen.
    Valentine hatte vorgehabt, sie Herzog Nascimonte und Prinz Mirigant und den anderen Gefährten vorzustellen. Aber bevor er es tun konnte, trat Tunigorn dienstbeflissen vor und übernahm die Aufgabe.
    Es hatte eine Zeit gegeben, da konnten die Bewohner von Majipoor keine direkte Unterhaltung mit dem Pontifex führen. Damals wurde von ihnen verlangt, daß sämtliche Gespräche über einen Vermittler geführt wurden, der den Titel Hoher Sprecher trug. Valentine hatte diesen Brauch rasch abgeschafft, ebenso wie viele andere hinderliche Eigenheiten höfischer Etikette. Aber Tunigorn, von konservativer Natur, hatte sich nie mit diesen Änderungen abgefunden. Er tat, was er konnte, um die traditionelle Aura der Unnahbarkeit zu erhalten, die einst jeden Pontifex umgeben hatte. Valentine fand das amüsant und reizend und nur gelegentlich ärgerlich.
    Bei der Begrüßungsdelegation war kein Archäologe der Metamorphen, die zu der Expedition gehörten. Magadone Sambisa hatte nur fünf menschliche Archäologen und einen Ghayrog mitgebracht. Es machte einen merkwürdigen Eindruck, daß die Metamorphen außen vor blieben. Tunigorn wiederholte die Namen der Archäologen förmlich für Valentine und verhunzte dabei fast jeden einzelnen. Dann, und erst dann, trat er zurück und ließ den Pontifex persönlich mit ihr sprechen.
    »Die Ausgrabungen«, sagte er. »Sagt mir, haben sie gute Fortschritte gemacht?«
    »Ziemlich gute, Majestät. Sogar hervorragende, bis . . . bis . . .« Sie machte eine Geste der Verzweiflung: Kummer, Schock, Unverständnis, Hilflosigkeit, alles mit einer einzigen heftigen Bewegung ihres Kopfs und ihrer Hände.
    Der Mord mußte wie ein Todesfall in der Familie für sie gewesen sein, für alle hier. Ein plötzlicher, schrecklicher Verlust.
    » Bis, ja. Ich verstehe.«
    Valentine befragte sie sanft, aber nachdrücklich. Hatte es, fragte er, wichtige neue Erkenntnisse bei den Ermittlungen gegeben? Waren Hinweise entdeckt worden? Hatte jemand die Verantwortung für das Attentat übernommen? Gab es überhaupt Verdächtige? Hatte die Gruppe der Archäologen Drohungen erhalten, daß es zu weiteren Anschlägen kommen würde?
    Aber es gab nichts Neues. Huukaminaans Ermordung war ein Einzelfall gewesen, ein plötzlicher, schmerzlicher und unbegreiflicher Einschnitt in den gleichmäßigen Fortschritt der Arbeit hier auf der Ausgrabungsstätte. Der Leichnam des ermordeten Metamorphen sei seinem Volk zur Bestattung übergeben worden, teilte sie ihm mit, und als sie es sagte, lief ein Schauer durch ihren ganzen Oberkörper, was sie nicht sehr erfolgreich zu verbergen vermochte. Die Archäologen versuchten, ihre Erschütterung über die Tat abzuschütteln und mit ihrer Arbeit weiterzumachen.
    Der ganze Themenkomplex war ihr erkennbar unangenehm. Sie brachte ihn, so schnell sie konnte, hinter sich. »Ihr müßt müde von der Reise sein, Majestät. Soll ich Euch Eure Quartiere zeigen?«
    Drei neue Zelte waren als Unterkünfte für den Pontifex und sein Gefolge aufgebaut worden. Sie mußten die Zone der Ausgrabungen durchqueren, um sie zu erreichen. Valentine bemerkte zufrieden, welch große Fortschritte dabei gemacht worden waren, die Büschel der gefährlichen kleinen Unkräuter und die verfilzten, holzigen Ranken zu entfernen, die seit so vielen Jahrhunderten geduldig daran arbeiteten, die Steinquader auseinanderzuziehen.
    Unterwegs gab Magadone Sambisa unablässig wahre Sturzbäche von Informationen über die bedeutendsten Sehenswürdigkeiten der Stadt von sich, als wäre Valentine ein Tourist und sie seine Reiseführerin. Auf dieser Seite der eingestürzte, aber immer noch eindrucksvolle Aquädukt. Dort drüben die gut erhaltene Schüssel der Arena mit ihren zerklüfteten Mauern. Und dort wiederum die große Prachtstraße, die mit glatten grünen Steinplatten gepflastert war.
    Auch nach zwanzigtausend Jahren waren noch die Hieroglyphen der Gestaltwandler auf den

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