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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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seinen Lebensunterhalt als bescheidener Jongleur verdient, weil die Gefolgschaft des Thronräubers durch eine künstlich induzierte Amnesie verhindert hatte, daß er sich an seinen wahren Rang erinnerte. Diese Jahre hatten ihn unumkehrbar verändert; und als er sich wieder auf den königlichen Höhen des Burgbergs befand, hatte er sich auf eine Art und Weise betragen wie nur wenige Coronals jemals vor ihm - hatte sich offen unter das Volk gemischt, das unbekümmerte Evangelium von Frieden und Liebe selbst dann noch gepredigt, als die Gestaltwandler sich darauf vorbereiteten, ihren lange gehegten Feldzug gegen die Eroberer vom Zaun zu brechen, die ihnen ihre Welt genommen hatten.
    Und dann, als die Ereignisse des Krieges Valentines Aufstieg zum Pontifikat unvermeidlich machten, hatte er so lange wie möglich gezögert, bis er die Oberwelt seinem Protege Lord Hissune überlassen hatte, dem neuen Coronal, und hinabgestiegen war in die unterirdische Stadt, die seinem sonnigen Naturell so fremd war.
    In seinen neun Jahren als Pontifex hatte er jede Möglichkeit genutzt, ihr zu entkommen. Soweit man sich erinnerte, war kein Pontifex öfter als einmal pro Jahrzehnt aus dem Labyrinth herausgekommen, und auch dann nur, um an wichtigen Ritualen im Schloß des Coronals teilzunehmen; aber Valentine erschien so oft wie möglich an der Oberfläche und ritt kreuz und quer durch das Land, als wäre er immer noch verpflichtet, die förmlichen Großprozessionen durch das Reich zu unternehmen, die die Pflicht eines Coronals waren. Lord Hissune war jedesmal sehr geduldig mit ihm gewesen, aber Valentine zweifelte nicht daran, daß der Drang seines übergeordneten Monarchen, so häufig ins Blickfeld der Öffentlichkeit zu kommen, den jungen Coronal ziemlich verdroß.
    »Ich verändere, was meiner Meinung nach verändert werden muß«, sagte Valentine. »Aber ich bin es Lord Hissune schuldig, so wenig wie möglich auf der Bildfläche zu erscheinen.«
    »Nun, heute seid Ihr auf jeden Fall an der Oberfläche!«
    »So sieht es aus. Aber dieses eine Mal hätte ich gern auf die Gelegenheit verzichtet, nach oben zu kommen. Aber da Hissune auf Zimroel ist . . .«
    »Ja. Ihr hattet eindeutig keine andere Wahl. Ihr mußtet diese Ermittlungen persönlich leiten.« Sie verstummten. »Eine scheußliche Sache, dieser Mord«, sagte Nascimonte nach einer Weile. »Pfui! Stücke des armen Kerls einfach so über dem gesamten Altar zu verstreuen!«
    »Auch Teile der Metamorphenpolitik der Regierung, glaube ich«, sagte der Pontifex mit einem wehmütigen Lächeln.
    »Ihr glaubt, daß die Tat politische Hintergründe hat, Valentine?«
    »Wer weiß? Aber ich fürchte das Schlimmste.«
    »Ihr, der ewige Optimist?«
    »Es wäre zutreffender, mich als Realisten zu bezeichnen, Nascimonte. Als Realisten.«
    Der alte Herzog lachte. »Wie Ihr wollt, Majestät.« Eine weitere Pause, länger als die erste. Dann sagte Nascimonte leiser: »Valentine, ich muß Euch für einen früheren Fehler um Verzeihung bitten. Heute nachmittag, als ich die Gestaltwandler als Ungeziefer bezeichnet habe, das ausgerottet werden sollte, da habe ich zu schroff gesprochen. Ihr wißt, daß ich das nicht wirklich glaube. Ich bin ein alter Mann. Manchmal spreche ich so unverblümt, daß ich selbst ganz erstaunt bin.«
    Valentine nickte, gab aber keine Antwort.
    »Und auch, daß ich so dogmatisch behauptet habe, ein anderer Gestaltwandler müßte ihn umgebracht haben. Wie Ihr sagtet, es ziemt uns nicht, so vorschnell zu Schlußfolgerungen zu gelangen. Wir haben noch nicht einmal mit der Beweisaufnahme begonnen. An diesem Punkt haben wir keinerlei Grundlage, zu vermuten . . .«
    »Ganz im Gegenteil. Wir haben allen Grund, es zu vermuten, Nascimonte.«
    Der Herzog sah Valentine bestürzt an. »Majestät!«
    »Spielen wir keine Spielchen, alter Freund. Im Augenblick ist außer uns beiden niemand hier. Also steht es uns frei, ungeschminkt die Wahrheit zu sagen, oder nicht? Und Ihr habt es heute nachmittag ungeschminkt genug ausgedrückt. Ich habe Euch da gesagt, daß wir keine voreiligen Schlüsse ziehen sollten, ja, aber manchmal liegt eine Schlußfolgerung dermaßen nahe, daß sie uns förmlich anspringt. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum einer der menschlichen Archäologen - oder einer der Ghayrogs, was das betrifft - einen seiner Kollegen hätte ermorden sollen. Ich verstehe auch nicht, warum es ein anderer hätte tun sollen. Mord ist ein so seltenes Verbrechen, Nascimonte. Wir können

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