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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Liebling, ein großer, häßlicher Köter mit breitem Schädel, folgte ihr. Auf dem Hang über der Quelle im Marschland, wo Rose ihr vor zehn Jahren ihren Namen gegeben hatte, hielt sie an. Sie stand dort; der Hund setzte sich neben sie und sah ihr ins Gesicht. Kein klarer Gedanke ging ihr durch den Kopf, aber dieselben Worte kamen immer wieder: Ich könnte nach Roke gehen und herausfinden, wer ich bin.
    Sie schaute über die Schilfgraswiesen und Weidenbäume und ferneren Hügel nach Westen. Der gesamte westliche Himmel war leer, klar. Sie stand still, und ihre Seele schien in diesen Himmel einzugehen und fort zu sein, fort von ihr.
    Ein kaum hörbares Geräusch ertönte, das leise Klipp-klapp der Hufe des Pferdes, das auf dem Weg näher kam. Dann kehrte Drachenkind in sich selbst zurück, rief nach Elfenbein und rannte den Hügel hinab zu ihm. »Ich werde gehen«, sagte sie.
     
    Er hatte ein derartiges Abenteuer weder geplant noch beabsichtigt, aber so verrückt es war, es gefiel ihm um so besser, je länger er darüber nachdachte. Bei der Aussicht, den langen, grauen Winter in Westteich zu verbringen, wurde ihm ganz schwermütig ums Herz. Hier gab es nichts für ihn, außer dem Mädchen Drachenkind, das sein ganzes Denken beherrschte. Ihre enorme, unschuldige Kraft hatte ihn bereits vollkommen unterworfen, aber er tat, was ihr gefiel, damit sie tat, was ihm gefiel, und er fand, daß sich dieses Spiel lohnte. Wenn sie mit ihm fortging, war es so gut wie gewonnen. Und was den Spaß daran betraf, das Vorhaben, sie tatsächlich als Mann verkleidet in die Schule von Roke einzuschmuggeln, so bestand kaum eine Chance, es durchzuziehen, aber es gefiel ihm als Geste der Respektlosigkeit im Angesicht von Pietät und Pomp der Meister und ihrer Schmeichler. Und sollte es irgendwie doch gelingen, sollte er tatsächlich eine Frau durch diese Tür bringen können, und sei es nur für einen Augenblick, was wäre das für eine süße Rache!
    Geld war ein Problem. Das Mädchen glaubte natürlich, daß er als ein großer Magier nur mit den Fingern zu schnippen brauchte, um sie mit einem verzauberten Boot, das mit verzaubertem Wind reiste, über das Meer zu bringen. Aber als er ihr sagte, daß sie eine Schiffspassage buchen müßten, antwortete sie nur: »Ich habe das Käsegeld.«
    Er schätzte ihre derben Aussprüche. Manchmal machte sie ihm angst, was ihm nicht gefiel. In seinen Träumen von ihr gab sie sich ihm niemals hin, sondern er selbst ergab sich einer wilden, verzehrenden Süße, sank in eine vernichtende Umarmung; Träume, in denen sie etwas Unbegreifliches war und er gar nichts. Er erwachte erschüttert und beschämt aus diesen Träumen. Bei Tage, wenn er ihre großen, schmutzigen Hände sah, wenn sie redete wie ein Bauerntölpel, ein Einfaltspinsel, fühlte er sich wieder überlegen. Er wünschte nur, es gäbe jemanden, vor dem er ihre Aussprüche wiederholen könnte, einem seiner Freunde in dem Großen Hafen, der sie amüsant finden würde. »Ich habe das Käsegeld«, wiederholte er bei sich, als er nach Westteich zurückritt, und lachte. »Das habe ich in der Tat«, sagte er lauf. Die schwarze Mähre zuckte mit den Ohren.
    Er erzählte Birke, er habe eine Sendung von seinem Lehrer auf Roke erhalten, dem Meister Hand, und müsse sofort zurückkehren, in welcher Angelegenheit, könne er natürlich nicht sagen, aber wenn er erst einmal dort sei, sollte es nicht allzu lange dauern; einen halben Monat für die Hinfahrt, einen halben für die Rückreise; spätestens vor den Brachen würde er wieder zurück sein. Er müsse Meister Birke bitten, ihm einen Vorschuß auf seinen Lohn zu geben, damit er Schiffspassage und Unterkunft bezahlen könne, denn ein Magier von Roke solle niemals ausnutzen, daß die Leute bereit wären, ihm alles zu geben, was er brauchte, sondern bezahlen wie ein gewöhnlicher Mann. Da Birke dem zustimmte, mußte er Elfenbein eine Börse für seine Reise geben. Es war das erste richtige Geld, das dieser seit Jahren in der Tasche hatte: zehn Elfenbeinscheiben mit dem Otter von Schelieth auf einer und der Rune des Friedens auf der anderen Seite, zu Ehren von König Lebannen. »Hallo, kleine Namensvettern«, sagte er zu ihnen, als er allein mit ihnen war. »Ihr und das Käsegeld werdet euch prächtig miteinander verstehen.«
    Er erzählte Drachenkind recht wenig von seinen Plänen, hauptsächlich weil er kaum welche hatte und mehr dem Zufall und seinen Geistesgaben vertraute, die ihn selten im Stich ließen,

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