Der siebte Schrein
Und so trauerten wir um ihn. Aber weil Uneinigkeit zwischen uns herrschte und meine Muster alle von Veränderung und Gefahr sprachen, trafen wir uns, um einen neuen Hüter von Roke zu wählen, einen Erzmagier, der uns führen sollte. Und nach unserer Beratung setzten wir den jungen König anstelle des Gebieters ein. Uns kam es richtig vor, daß er in unserer Mitte sitzen sollte. Nur der Verwandler sprach sich zunächst dagegen aus, stimmte dann aber zu.
Wir trafen uns, wir saßen beisammen, aber wir konnten uns nicht einigen. Wir sagten dies und das, aber kein Name wurde genannt. Doch dann überkam mich . . .« Er machte eine Pause. »Mich überkam das, was mein Volk eduevanu nennt, den anderen Atem. Worte strömten in mich ein, und ich sprach sie aus. Ich sagte: Hama Gondun! - Und Kurremkarmerruk sagte ihnen dies in Hardisch: ›Eine Frau auf Gont.‹ Aber als ich wieder zu mir kam, konnte ich ihnen nicht sagen, was das bedeutete. Und so gingen wir auseinander, ohne daß ein Erzmagier gewählt wurde.
Der König brach kurz danach auf, und der Meister Windschlüssel ging mit ihm. Bevor der König gekrönt werden sollte, gingen sie nach Gont und suchten unseren Herrn auf, um herauszufinden, was ›eine Frau auf Gont‹ zu bedeuten hatte. Aber sie sahen ihn nicht, nur meine Landsmännin Tenar vom Ring. Sie sagte, daß sie nicht die Frau sei, die sie suchten. Und sie fanden niemanden, nichts. So entschied Lebannen, daß es sich um eine Prophezeiung handelte, die noch erfüllt werden müßte. Und in Havnor setzte er sich die Krone selbst auf das Haupt.
Der Kräutermeister und auch ich waren der Ansicht, daß der Gebieter tot sei. Wir glaubten, daß sein Atem von einem Zauberspruch seiner Kunst übrig war, den wir nicht verstanden, so wie der Zauber, den Schlangen kennen, der ihre Herzen noch schlagen läßt, wenn sie schon lange tot sind. So schrecklich es schien, einen Leib zu begraben, der noch atmete, er war kalt, sein Blut floß nicht, und keine Seele war in ihm. Das war schrecklicher. Also trafen wir Vorkehrungen, ihn zu begraben. Und dann, an seinem Grab, schlug er die Augen auf. Er bewegte sich und sprach. Er sagte: ›Ich habe mich selbst wieder ins Leben zurückgerufen, um zu tun, was getan werden muß.‹«
Die Stimme des Formgebers war rauher geworden, und plötzlich fegte er das kleine Muster der Kieselsteine mit der Hand beiseite.
»Also waren wir bei der Rückkehr Windschlüssels wieder zu neunt. Aber uneins. Denn der Gebieter sagte, wir müßten uns wieder treffen und einen Erzmagier wählen. Der König hätte in unserer Mitte nichts verloren, sagte er. Und ›eine Frau auf Gont‹, wer immer sie sein mochte, habe unter den Männern von Roke ebenfalls nichts verloren. Na? Der Windschlüssel, der Sänger, der Verwandter, die Hand, sie sagen, er hat recht. Und sie sagen, da König Lebannen einer ist, der von den Toten wiedergekehrt ist und diese Prophezeiung erfüllt hat, wird auch der Erzmagier einer sein, der von den Toten zurückgekehrt ist.«
»Aber . . .«, sagte Irian und verstummte.
Nach einer Weile sagte der Formgeber: »Diese Kunst, das Gebieten, weißt du, ist sehr . . . schrecklich. Sie ist . . . immer gefährlich. Hier«, und er sah in die grün-goldene Dunkelheit der Bäume hinauf, »hier gibt es kein Gebieten. Keine Rückkehr über die Mauer. Keine Mauer.«
Sein Gesicht war das Gesicht eines Kriegers, aber wenn er die Bäume ansah, wurde es sanfter, sehnsüchtig.
»Nun«, sagte er, »macht er dich zum Grund für unser Zusammentreffen. Aber ich werde nicht zum Großhaus gehen. Ich lasse nicht über mich gebieten.«
»Wird er nicht hierherkommen?«
»Ich glaube nicht, daß er im Wald spazierengehen wird. Auch nicht auf dem Kogel von Roke. Was auf dem Kogel ist, das ist so.«
Sie wußte nicht, was er meinte, fragte aber nicht, da ihr andere Gedanken durch den Kopf gingen: »Du sagst, er macht mich zum Grund für ein Treffen.«
»Ja. Es braucht neun Magier, um eine Frau wegzuschicken.« Er lächelte selten, und wenn, dann rasch und wild. »Wir sollen uns treffen, um dem Gesetz von Roke Geltung zu verschaffen. Und um einen Erzmagier zu wählen.«
»Wenn ich weggehen würde . . .« Sie sah ihn den Kopf schütteln. »Ich könnte zum Namengeber gehen . . .«
»Hier bist du sicherer.«
Die Vorstellung, Schaden anzurichten, bekümmerte sie, aber an Gefahr hatte sie noch nicht gedacht. Das fand sie unvorstellbar. »Mir geschieht schon nichts«, sagte sie. »Also der Namengeber, und du . . .
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