Der siebte Schrein
Wind von Roke gegen alle. Und wenn der König selbst kommen sollte, könnte er nicht an Rokes Küste landen.«
»Bis sich der Wind dreht, nicht wahr?« sagte der Formgeber.
»Thorion sagt, Lebannen ist kein richtiger König, weil kein Erzmagier ihn gekrönt hat.«
»Unsinn! Nicht verbürgt!« sagte der alte Namengeber. »Der erste Erzmagier kam Jahrhunderte nach dem letzten König. Roke regierte anstelle der Könige.«
»Ah«, sagte der Formgeber. »Es fällt dem Haushälter schwer, den Schlüssel abzugeben, wenn der Besitzer nach Hause kommt.«
»Der Ring des Friedens ist wieder ganz«, sagte der Kräutermeister mit seiner ruhigen, besorgten Stimme, »die Prophezeiung ist erfüllt, der Sohn von Morred gekrönt, und doch haben wir keinen Frieden. Wo haben wir uns geirrt? Warum können wir kein Gleichgewicht finden?«
»Was hat Thorion vor?« fragte der Namengeber.
»Lebannen hierherzubringen«, sagte der Kräutermeister. »Die jungen Männer sprechen von der ›wahren Krone‹. Eine zweite Krönung hier. Durch den Erzmagier Thorion!«
»Behüte!« stieß Irian hervor und machte das Zeichen, um zu verhindern, daß aus Wort Tat wurde. Keiner der Männer lächelte, und der Kräutermeister machte kurz darauf dieselbe Geste.
»Wie hält er sie alle?« fragte der Namengeber. »Kräutermeister, du warst hier, als Sperber und Thorion von Irioth herausgefordert wurden. Ich glaube, seine Gabe war so groß wie die von Thorion. Er wandte sie an, um Männer zu benutzen, um sie ganz und gar zu beherrschen. Ist es das, was Thorion macht?«
»Ich weiß nicht«, sagte der Kräutermeister. »Ich kann euch nur sagen, wenn ich bei ihm bin, wenn ich im Großhaus bin, dann ist mir, als könnte nichts getan werden, das nicht schon getan worden ist. Daß nichts sich verändern wird. Nichts wachsen wird. Daß die Krankheit zum Tode führen wird, welche Heilmittel ich auch einsetze.« Er sah sie alle an wie ein verwundeter Ochse. »Und ich glaube, es ist wahr. Es gibt keine andere Möglichkeit mehr, das Gleichgewicht wiederherzustellen, als durch Stillhalten. Wir sind zu weit gegangen. Daß der Erzmagier und Lebannen leibhaftig in den Tod gegangen und zurückgekehrt sind - das war nicht recht. Sie haben ein Gesetz gebrochen, das nicht gebrochen werden darf. Um diesem Gesetz wieder Geltung zu verschaffen, ist Thorion zurückgekehrt.«
»Was - um sie in den Tod zurückzuschicken?« fragte der Namengeber, und der Kräutermeister sagte: »Wem steht es an, zu sagen, was das Gesetz ist?«
»Es existiert eine Mauer«, sagte der Kräutermeister.
»Diese Mauer ist nicht so tief verwurzelt wie meine Bäume«, sagte der Formgeber.
»Aber du hast recht, Kräutermeister, wir sind aus dem Gleichgewicht«, sagte Kurremkarmerruk mit rauher und schroffer Stimme. »Wann und wo haben wir angefangen, zu weit zu gehen? Was haben wir vergessen, übersehen, wem den Rücken zugewandt?«
Irian sah von einem zum anderen.
»Wenn das Gleichgewicht gestört ist, nützt es nichts, nur stillzuhalten. Es muß schlimmer werden«, sagte der Formgeber. »Bis . . .« Er machte eine rasche Geste der Umkehr mit den Händen, von oben nach unten, von unten nach oben.
»Was könnte falscher sein, als sich selbst von den Toten zurückzurufen?« fragte der Namengeber.
»Thorion war der beste von uns allen - ein tapferes Herz, von edler Gesinnung.« Der Kräutermeister sprach fast zornig. »Sperber liebte ihn. Wie wir alle.«
»Das Gewissen plagte ihn«, sagte der Namengeber. »Das Gewissen sagte ihm, daß er allein alles wieder richten könne. Um das zu bewerkstelligen, trotzte er seinem Tod. Und nun trotzt er dem Leben.«
»Und wer soll sich gegen ihn erheben?« fragte der Formgeber. »Ich kann mich nur in meinen Wäldern verbergen.«
»Und ich in meinem Turm«, sagte der Namengeber. »Und du, Kräutermeister, und der Türhüter, ihr sitzt im Großhaus in der Falle. Den Mauern, die wir errichtet haben, um alles Böse draußen zu halten. Oder drinnen, wie sich erweisen könnte.«
»Wir sind vier gegen ihn«, sagte der Formgeber.
»Sie sind fünf gegen uns«, sagte der Kräutermeister.
»Ist es so weit gekommen«, sagte der Namengeber, »daß wir am Rand des Hains stehen, den Segoy selbst gepflanzt hat, und darüber reden, wie wir einander vernichten können?«
»Ja«, sagte der Formgeber. »Was zu lange unverändert bleibt, vernichtet sich selbst. Der Wald ist ewig, weil er stirbt und wieder stirbt und dadurch lebt. Ich werde nicht zulassen, daß mich diese
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