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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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und der Türhüter? . . .«
    ». . . wünschen nicht, daß Thorion Erzmagier wird. Auch der Kräutermeister nicht, aber der gräbt und sagt wenig.« Er sah, wie Irian ihn erstaunt ansah. »Thorion der Gebieter nennt seinen wahren Namen«, sagte er. »Er ist gestorben, nicht wahr?«
    Sie wußte, daß König Lebannen seinen wahren Namen offen benutzte. Auch er war von den Toten zurückgekehrt. Aber daß der Gebieter es ebenfalls tat, schockierte und beunruhigte sie, wenn sie darüber nachdachte.
    »Und die . . . Schüler?«
    »Ebenfalls uneins.«
    Sie dachte an die Schule, wo sie so kurz gewesen war. Von hier, unter den Wipfeln des Hains, sah sie die Schule als Steinmauern, die alle eine Art von Sein ein- und alle anderen ausschlossen, wie ein Stall, ein Käfig. Wie konnte einer von ihnen an so einem Ort sein Gleichgewicht wahren?
    Der Formgeber schob auf dem Sand vier kleine Kiesel zu einem Halbkreis zusammen und sagte: »Ich wünschte, Sperber wäre nicht gegangen. Ich wünschte, ich könnte lesen, was die Schatten schreiben. Aber ich kann die Blätter nur eines sagen hören, Veränderung, verändern . . . Alles wird sich verändern, außer ihnen.« Er sah wieder mit diesem sehnsüchtigen Blick zu den Blättern auf. Die Sonne ging unter; er stand auf, sagte Irian sanft gute Nacht, ging fort und verschwand unter den Bäumen.
    Sie blieb eine Weile beim Thwilbach sitzen. Was er ihr gesagt hatte, beunruhigte sie, ebenso ihre Gedanken und Gefühle in dem Hain, und es beunruhigte sie, daß ein Gedanke oder Gefühl sie dort beunruhigen konnte. Sie ging zum Haus, bereitete sich ein Abendessen mit Rauchfleisch und Brot und Sommersalat und aß es, ohne etwas zu schmecken. Sie ging rastlos zum Ufer und zum Bach zurück. Es war sehr still und warm in der Dämmerung, nur die hellsten Sterne konnte man durch die milchige Wolkendecke sehen. Sie streifte die Sandalen ab und steckte die Füße ins Wasser. Es war kühl, aber von der Sonne gewärmte Ströme flossen darin. Sie schlüpfte aus ihrer Kleidung, den Männerhosen und dem Hemd, die alles waren, was sie besaß, glitt nackt in das Wasser und spürte den Sog und das Kitzeln der Strömung am ganzen Körper. In den Bächen von Iria war sie nie geschwommen, und das wogende und graue Meer hatte sie gehaßt, aber dieses rasch fließende Gewässer gefiel ihr heute abend. Sie ließ sich treiben, strich unter Wasser mit den Händen über seidige Steine und die eigenen seidigen Flanken, und ihre Beine glitten durch Wasserpflanzen. Das fließende Wasser spülte ihre Sorgen und Rastlosigkeit von ihr ab, sie schwebte entzückt in der Liebkosung des Bachs und schaute zum weißen, sanften Feuer der Sterne auf.
    Kälte durchlief sie. Das Wasser wurde kalt. Sie riß sich zusammen, obwohl ihre Gliedmaßen immer noch entspannt und locker waren, sah auf und erblickte am Ufer über sich die schwarze Gestalt eines Mannes.
    Sie stand im Wasser auf.
    »Fort mit dir!« rief sie. »Geh weg, du Verräter, du elender Lüstling, oder ich schneide dir die Leber aus dem Leib!« Sie sprang ans Ufer, zog sich an dem robusten Schilfgras hoch und rappelte sich auf. Niemand war da. Sie stand erzürnt und vor Wut bebend da. Sie hüpfte am Ufer entlang, fand ihre Kleidung und zog sie immer noch fluchend an - »Du feiger Magier! Du verräterischer Hurensohn!«
    »Irian?«
    »Er war da!« schrie sie. »Dieser üble Kerl, dieser Thorion!« Sie stapfte dem Formgeber entgegen, der beim Haus ins Sternenlicht trat. »Ich habe im Bach gebadet, und er hat dagestanden und mich beobachtet!«
    »Eine Sendung - nur ein Abbild von ihm. Er konnte dir nichts tun, Irian.«
    »Eine Sendung mit Augen, ein Abbild, das sehen kann. Möge er -« Sie verstummte, weil ihr plötzlich die Worte fehlten. Ihr war übel. Sie erschauerte und schluckte den kalten Speichel, der sich in ihrem Mund sammelte.
    Der Formgeber kam näher und nahm ihre Hände in seine. Seine Hände waren warm, und ihr war so sterbenskalt, daß sie sich seiner Körperwärme wegen an ihn drückte. So standen sie eine Weile da, ihr Gesicht von ihm abgewandt, aber die Hände vereint und die Körper dicht beisammen. Schließlich riß sie sich los, richtete sich auf und strich sich das nasse, strähnige Haar zurück. »Danke«, sagte sie. »Mir war kalt.«
    »Ich weiß.«
    »Mir ist nie kalt«, sagte sie. »Das war er.«
    »Ich sage dir, Irian, er kann nicht hierherkommen, er kann dir hier kein Leid zufügen.«
    »Er kann mir nirgendwo ein Leid zufügen«, sagte sie, und das

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