Der siebte Schrein
vor drei Jahren hatte er nur angemerkt: »Cynethrith am Brustfieber gestorben. Sie wird auf der Landzunge begraben werden.«
Ich wurde nur ein einziges Mal in einem einzelnen Satz von vor wenigen Monaten erwähnt: »Breda heute glücklich«. Es schmerzte mich auf seltsame Weise, daß mein ernster Stiefvater das bemerkt und notiert hatte.
Auf den letzten Seiten fand sich fast keine Erwähnung von häuslichen oder öffentlichen Angelegenheiten, da Sulis im täglichen Leben das Interesse an beiden verloren hatte. Statt dessen fanden sich immer mehr Anmerkungen, die um Dinge zu kreisen schienen, von denen er in anderen Büchern gelesen hatte - eine lautete: »Plesinnen behauptet, daß die Sterblichkeit von Gott verzehrt wird, wie eine Flamme Zweig oder Ast verzehrt. Wie aber . . .«, der Rest war verschmiert - ein Wort hätte »Nägel« heißen können, und weiter unten konnte ich »Heiliger Baum« entziffern. In einer anderen seiner Notizen wurden mehrere »Türen« aufgelistet, die jemand namens Nisses gefunden hatte, mit Erklärungen zu jeder einzelnen, die gar nichts erklärten - »Verwandelt« stand in der krakeligen Handschrift meines Stiefvaters neben einer, oder »aus einer Zeit ohne Besatzung« oder sogar »ein dunkles Ding getroffen«.
Erst auf den letzten beiden Seiten fand ich Hinweise auf die Frau im Kerker unter dem Thronsaal.
»Habe endlich Kunde von der Frau namens Valada erhalten« , verkündete das Gekritzel. »Niemand sonst, der nördlich von Perdruin lebt, weiß etwas über das Schwarze Feuer. Sie muß gezwungen werden, preiszugeben, was sie weiß.« Darunter stand in noch krakeligerer Handschrift eines anderen Tages: »Die Hexe sträubt sich, aber ich darf mir kein weiteres Scheitern wie am Abend von Elysiamansa leisten. In der Steinigungsnacht wird die nächste Zeit der Lauten Stimmen unter dem Horst sein. Die Wände werden dünn sein. Sie muß mir den Weg des Schwarzen Feuers zeigen, sonst gibt es keine Hoffnung. Entweder sie antwortet, oder der Tod.«
Ich lehnte mich zurück und versuchte, das alles zu verstehen. Was immer mein Stiefvater vorhatte, es würde bald passieren - die Steinigungsnacht war die letzte Nacht im Avrel und nur noch wenige Tage entfernt. Ich konnte der Niederschrift nicht entnehmen, ob die Hexe noch in Gefahr war - wollte er sie töten, wenn sie versagte, oder nur, wenn sie versuchen würde, ihn bei der Abmachung übers Ohr zu hauen? -, aber ich zweifelte nicht daran, daß diese Suche nach dem Ding namens Schwarzes Feuer alle anderen in Gefahr bringen würde, ganz besonders, was am beunruhigendsten war, meinen Soldaten Tellarin. Wieder murmelte mein Stiefvater im Schlaf, ein unglücklicher Laut. Ich schloß seine Bücher weg und schlich mich wieder hinaus.
Den ganzen Tag fühlte ich mich zerstreut und fiebrig, aber diesmal war es nicht das Fieber der Liebe. Ich hatte Todesangst um Tellarin und fürchtete um meinen Stiefvater und die Hexe Valada, konnte aber niemandem sagen, was ich wußte und wie ich es herausgefunden hatte. Zum erstenmal, seit mein Soldat mich geküßt hatte, fühlte ich mich allein. Ich kannte eine Fülle von Geheimnissen, besaß aber im Gegensatz zu Sulis nicht einmal ein Buch, dem ich sie anvertrauen konnte.
Nach langem Hin und Her beschloß ich, daß ich ihnen folgen würde. Ich würde ihnen an den Ort folgen, von dem mein Stiefvater gesprochen hatte, dem Ort unter der Festung, wo die Wände dünn und die Stimmen laut waren. Während sie nach dem Schwarzen Feuer suchten, würde ich auf Gefahren achten. Ich würde sie alle beschützen. Ich würde ihr Schutzengel sein.
Endlich war die Steinigungsnacht gekommen.
Auch wenn ich die Schriften meines Stiefvaters nicht gelesen hätte, hätte ich vermutlich gewußt, daß die Stunde gekommen war, da sie nach dem Schwarzen Feuer suchen wollten, weil Tellarin so geistesabwesend und voller Schatten war. Obwohl er mir gegenüber nichts eingestand, als wir nebeneinander in meiner Schlafkammer lagen, konnte ich spüren, daß er sich Sorgen darüber machte, was ihm in dieser Nacht bevorstand. Aber er war meinem Stiefvater durch Ehre und Blut verbunden und hatte keine andere Wahl.
Er fuhr mich an, als ich sein Ohr küßte und seine Locken um meine Finger wickelte. »Gönn einem Mann etwas Ruhe, Mädchen!«
»Warum bist du ein Mann und ich ein Mädchen?« fragte ich ihn spöttisch und schützte eine Unbekümmertheit vor, die ich nicht wirklich empfand. »Ist der Altersunterschied zwischen uns so groß? Habe
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