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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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schien, unabhängig vom flackernden Schein der Fackel, zog ich die Drachenklaue heraus und gab sie ihr durch die Gitterstäbe.
    Die Hexe zog eine Braue hoch, als sie sie von mir entgegennahm. Sie drehte die Klaue sorgfältig auf der Handfläche um und lächelte traurig. »Eine vergiftete Eulenkralle. Sehr passend. Soll ich sie an meinen Häschern ausprobieren? Oder an mir selbst?«
    Ich zuckte hilflos die Achseln. »Du wolltest frei sein.«
    »Nicht damit, kleine Tochter«, sagte sie. »Jedenfalls diesmal nicht. Es ist so, daß ich bereits eingelenkt habe - besser gesagt, mich auf einen Handel eingelassen. Ich habe eingewilligt, deinem Stiefvater zu geben, was er zu wollen glaubt, und bekomme dafür meine Freiheit. Ich muß den Himmel wieder sehen und fühlen.« Sanft gab sie mir die Klaue zurück.
    Ich sah sie an und war fast krank vom Bedürfnis, etwas zu erfahren. »Warum verrätst du mir deinen Namen nicht?«
    Wieder ein trauriges Lächeln. »Weil ich meinen wirklichen Namen niemandem verrate. Weil jeder andere Name eine Lüge wäre.«
    »Dann erzähl mir eine Lüge.«
    »Wirklich ein seltsamer Haushalt! Nun denn. Die Menschen im Norden nennen mich Valada.«
    Ich versuchte es in meiner. Sprache. »Valada. Er wird dir jetzt die Freiheit geben?«
    »Bald, wenn die Abmachung von beiden Seiten eingehalten wird.«
    »Was ist das für eine Abmachung?«
    »Eine schlechte für alle Beteiligten.« Sie sah meinen Gesichtsausdruck. »Glaub mir, du willst es eigentlich nicht wissen. Um dieses Wahnsinns willen wird jemand sterben - das sehe ich so deutlich wie dein Gesicht, das durch die Tür schaut.«
    Mein Herz lag wie ein kalter Stein in meiner Brust. »Jemand wird sterben? Wer?«
    Ihr Ausdruck wurde resigniert, und ich konnte sehen, daß es sie Anstrengung kostete, mit den Fesseln aufrecht zu stehen. »Ich weiß nicht. Und in meiner Erschöpfung habe ich dir schon zuviel gesagt, kleine Tochter. Du hast hiermit nichts zu schaffen.«
    Ich wurde noch kläglicher und verwirrter entlassen. Die Hexe würde frei sein, aber jemand anders würde sterben. Ich konnte nicht an ihren Worten zweifeln - niemand hätte das gekonnt, der ihre fiebrigen, traurigen Augen gesehen hatte, als sie es sagte. Als ich zu meiner Schlafkammer zurückging, schienen die Flure des Inneren Zwingers ein vollkommen neuer Ort für mich zu sein, eine fremde und unbekannte Welt.
     
    Meine Gefühle für Tellarin waren immer noch erstaunlich stark, aber in den Tagen nach der Weissagung der Hexe war ich so umgeben von Unglück, daß unsere Liebe mehr einem Feuer glich, das ein kaltes Zimmer bewohnbar macht, als einer Sonne, die alles wärmt, so wie früher. Wenn mein Soldat nicht eigene Sorgen gehabt hätte, hätte er es mit Sicherheit bemerkt.
    Die Kälte in mir wurde so kalt wie der tiefste Winter, als ich ein Gespräch zwischen Tellarin und Avalles über einen Geheimauftrag mit anhörte, den Lord Sulis ihnen übertragen hatte, etwas, das mit der Hexe zu tun hatte. Es war schwer zu sagen, was genau beabsichtigt war - mein Liebster und sein Freund kannten das ganze Ausmaß von Sulis´ Plänen selbst nicht, und sie sprachen nur zueinander, nicht damit ihre heimliche Lauscherin sie verstand. Wie ich mir zusammenreimte, hatten die Bücher meines Stiefvaters ihm gezeigt, daß der Zeitpunkt für ein bedeutendes Ereignis in greifbare Nähe gerückt war. Sie würden eine Art Feuer suchen oder entfachen. Dazu wäre eine kurze nächtliche Reise erforderlich, aber sie sagten nicht - wußten es vielleicht auch noch nicht -, in welcher Nacht das sein würde. Sowohl mein Liebster wie auch Avalles waren erkennbar beunruhigt angesichts dessen, was ihnen bevorstand.
    Hatte ich bislang nur Angst empfunden, weil ich glaubte, daß für meinen armen, verwirrten Stiefvater das größte Risiko bestand, so war ich jetzt krank vor Entsetzen. Ich konnte mich kaum durch die verbliebenen Stunden des Tages schleppen, so sehr verzehrte mich der Gedanke, daß Tellarin etwas zustoßen könnte. Ich ließ meine Perlenstickerei so oft fallen, daß Ulca sie mir schließlich wegnahm. Als die Dunkelheit kam, konnte ich stundenlang nicht schlafen, und dann wachte ich keuchend und zitternd aus Träumen auf, in denen Tellarin in Flammen stand und gerade außerhalb meiner Reichweite verbrannte.
    Ich wälzte mich die ganze Nacht in meinem Bett herum. Wie konnte ich meinen Liebsten beschützen? Eine Warnung würde nichts nützen. Er war störrisch und bewahrte seine innersten Überzeugungen für Dinge,

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