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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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ich soll glauben, daß ich wieder mit ihnen vereint sein werde«, sagte er. »Sie predigen zu mir und sagen: ›Sieh das Werk von Usires, unserm Herrn, und sei getröstet, denn seine Aufgabe war es, zu zeigen, daß der Tod keine Furcht mit sich bringen sollte‹, haben sie mir gesagt. Aber ich kann nicht sicher sein - ich kann nicht blind vertrauen! Hat die Kirche recht? Werde ich alle wiedersehen, die ich liebe? Werden wir alle weiterleben? Die Herren der Kirche haben mich einen Ketzer genannt und mich zum Renegaten gemacht, weil ich nicht aufhören wollte, an der Göttlichkeit des Ädon zu zweifeln, aber ich muß es wissen! Sag es mir, Hakatri, war Usires einer von deinem Volk? Ist die Geschichte seiner Göttlichkeit nur eine Lüge, um uns glücklich und die Priester fett und reich zu machen?« Er blinzelte Tränen weg, und sein gelassenes Gesicht wurde von Wut und Schmerz verzerrt. »Auch wenn Gott mich für alle Zeiten in die Hölle verdammen sollte, muß ich es wissen - ist unser Glauben eine Lüge?«
    Er zitterte jetzt so heftig, daß er sich einen stolpernden Schritt von dem Feuer entfernte und fast gestürzt wäre. Niemand bewegte sich, außer dem Mann in den Flammen, der Sulis mit seinen leeren, dunklen Augen folgte.
    Ich stellte fest, daß ich ebenfalls weinte, und wischte mir lautlos die Tränen fort. Wie ich die wahre und schreckliche Qual meines Stiefvaters sah, war mir, als würde ein Messer in meinen Eingeweiden gedreht werden, und doch war ich auch wütend. Alles dafür? Für solche Dinge, die niemand wissen konnte, hatte er meine Mutter zu einer einsamen Frau gemacht und nun fast sein eigenes Leben zerstört?
    Nach einer langen Zeit, in der alles so still war wie die Steine um uns herum, sagte Hakatri leise: »Immer habt ihr Sterblichen euch gequält.« Er blinzelte, und sein Gesicht bewegte sich dabei so fremdartig, daß ich mich abwenden und ihn dann erneut ansehen mußte, bevor ich verstehen konnte, was er sagte. »Aber am meisten quält ihr euch, wenn ihr Antworten auf Fragen sucht, auf die es keine gibt.«
    »Keine Antworten?« Sulis zitterte immer noch. »Wie kann das sein?«
    Der brennende Mann hob die Hände mit den langen Fingern zu einer Geste, die nur eine des Friedens sein konnte. »Weil das, was für Sterbliche bestimmt ist, den Zida´ya nicht zu wissen gegeben ist, ebensowenig wie ihr von unserem Garten wissen könnt, oder wohin wir gehen, wenn wir diesen Ort verlassen.
    Hör mir zu, Sterblicher! Was wäre, wenn dein Messias wirklich eines von den Kindern der Dämmerung wäre - würde das irgendwie beweisen, daß dein Gott es nicht so vorherbestimmt hätte? Würde es beweisen, daß die Worte deines Erlösers im geringsten weniger wahr wären?« Hakatri schüttelte den Kopf mit der unheimlichen, fremden Anmut eines Küstenvogels.
    »Sag mir nur, ob Usires einer von deinem Volk war«, verlangte Sulis abgehackt. »Erspar mir deine Philosophie, und sag es mir! Denn auch ich brenne! Ich bin seit Jahren nicht mehr frei von Schmerzen!«
    Als die Echos des Aufschreis meines Stiefvaters verhallten, hielt der Feenlord in seinem Kreis der schwarzen Flammen inne und schien zum erstenmal wirklich über den Abgrund zu sehen. Seine Stimme war von Traurigkeit erfüllt, als er weitersprach.
    »Wir Zida´ya wissen wenig vom Tun der Sterblichen, und es gibt einige von unserem Blut, die abtrünnig geworden sind und deren Wirken auch uns verborgen bleibt. Ich glaube nicht, daß dein Usires Ädon einer von den Kindern der Dämmerung war, aber mehr kann ich dir nicht sagen, Sterblicher, sowenig wie ein anderer meines Volkes.« Er hob die Hände wieder und wob die Finger zu einer verschlungenen, unverständlichen Geste. »Es tut mir leid.«
    Dann lief ein gewaltiger Schauder durch das Geschöpf namens Hakatri - vielleicht setzten die Schmerzen seiner Verbrennungen wieder ein, Schmerzen, die er irgendwie ferngehalten hatte, während er meinem Stiefvater zuhörte. Sulis wartete nicht auf weitere Worte, sondern trat vor und kickte das Hexenholzfeuer zu einer Wolke kreisender Funken, dann sank er auf die Knie und barg das Gesicht in den Händen.
    Der brennende Mann war fort.
    Nach einer Zeit der Stille, die endlos zu sein schien, rief die Hexe: »Werdet Ihr Euch an Eure Abmachung mit mir halten, Lord Sulis? Ihr habt gesagt, wenn ich Euch zu einem der Unsterblichen bringen würde, würdet Ihr mich freilassen.« Ihre Stimme war ausdruckslos, hatte aber dennoch einen sanften Unterton, der mich überraschte.
    Als mein

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