Der siebte Schrein
wahr. Ich werde dich mit nach Nabban nehmen - jetzt werde ich reich sein, und du kannst meine Frau werden. Du wirst lernen, was eine richtige Stadt ist, im Vergleich zu diesem verfluchten abgelegenen Steinhaufen.«
»Du liebst mich? Du liebst mich wirklich?« Ich wollte ihm so sehr glauben. »Dann laß meinen Stiefvater gehen, Tellarin!«
Er runzelt die Stirn. »Das kann ich nicht. Sein Tod ist eine Aufgabe, die mir übertragen wurde, bevor ich dich kennenlernte, und es ist eine Aufgabe, die getan werden muß. Er ist ein Verrückter, Breda! Nach den Schrecken der heutigen Nacht, nachdem du den Dämon gesehen hast, den er mit verbotener Magie beschworen hat, siehst du doch sicher ein, warum man ihn nicht am Leben lassen kann.«
»Töte ihn nicht, bitte! Ich flehe dich an!«
Er hob die Hand, um mich zum Schweigen zu bringen. »Ich stehe bei meinem Herrn in Nabban im Eid. Dies eine muß ich tun, und danach sind wir beide frei.«
Nicht einmal eine Bitte im Namen der Liebe konnte ihn aufhalten. Verwirrt und überwältigt, außerstande, weiter mit dem Mann zu diskutieren, der mir soviel Freude bereitet hatte, wandte ich mich an die Hexe und betete, daß sie etwas tun würde - aber Valada war fort. Sie hatte sich ihre Freiheit genommen und überließ es uns anderen, einander zu ermorden, wie es uns beliebte. Ich glaubte, ihre Bewegungen in den Schatten zu sehen, aber es war nur ein weiteres Phantom, ein fliegendes Ding, das auf lautlosen Schwingen über der Treppe schwebte.
Lord Sulis schwieg. Er wehrte sich nicht gegen Tellarins Griff, sondern wartete wie ein alter Bulle darauf, geschlachtet zu werden. Wenn er schluckte, spannte sich die Haut an seinem Hals so sehr, daß mir beim bloßen Anblick wieder Tränen über die Wangen liefen. Mein Liebster drückte meinem Stiefvater das Messer an die Kehle, während ich zu ihnen stolperte. Sulis sah mich an, sagte aber immer noch nichts. Welcher Gedanke auch in seinen Augen geschrieben stehen mochte, er hatte sich so weit zurückgezogen, daß ich ihn nicht einmal erraten konnte.
»Sag mir noch einmal, daß du mich liebst«, bat ich, als ich an seiner Seite stand. Als ich in das verängstigte, aber überschwengliche Gesicht meines Soldaten sah, konnte ich nicht anders, als an den Hochhorst zu denken, ein heimgesuchtes, auf Mord errichtetes Bauwerk, in dessen verderbten, rastlosen Tiefen wir standen. Einen Moment glaubte ich, die Geisterstimmen wären zurückgekehrt, denn ein brüllendes, röhrendes Geräusch erfüllte meinen Kopf. »Sag es mir noch einmal, Teilarm«, flehte ich ihn an. »Bitte.«
Mein Liebster nahm das Messer nicht von Sulis´ Kehle, sagte aber: »Natürlich liebe ich dich, Breda. Wir werden heiraten, und ganz Nabban wird dir zu Füßen liegen. Du wirst nie wieder frieren oder einsam sein.« Er beugte sich nach vorne, und ich konnte die wunderbaren langen Muskeln an seinem Rücken straff unter meinen Händen spüren. Er zögerte, als er das Klirren der Glaskugel hörte, die auf die Steinplatten fiel und davonkullerte.
»Was . . .?«fragte er, dann richtete er sich unvermittelt auf und griff an die Stelle, wo ich ihn mit der Klaue gestochen hatte. Ich taumelte ein paar Schritte zurück und fiel weinend zu Boden. Hinter mir fing Tellarin an zu hecheln, dann zu würgen. Ich hörte, wie sein Messer scheppernd auf den Steinboden fiel.
Ich konnte nicht hinsehen, aber das Geräusch seiner letzten rasselnden Atemzüge werde ich nie wieder vergessen.
Jetzt, wo ich alt bin, weiß ich, daß diese geheimnisvolle Festung der Ort ist, wo ich sterben werde. Wenn ich meinen letzten Atemzug getan habe, werden sie mich vermutlich neben meiner Mutter und Lord Sulis auf der Landzunge begraben.
Als jene lange Nacht unter dem Schloß zu Ende war, war der Reiherkönig, wie die Seenvölker meinen Stiefvater nannten, wieder zu dem Mann geworden, der er gewesen war. Er herrschte noch viele Jahre über den Hochhorst, und mit der Zeit akzeptierte ihn sogar mein lärmendes, eifersüchtiges Volk als seinen Herrscher, auch wenn die Königswürde Sulis selbst nicht überlebte.
Meine eigenen Spuren in der Welt werden noch unbedeutender sein.
Ich habe nie geheiratet, und mein Bruder Aelfric starb bei einem Sturz vom Pferd, ohne daß er Kinder gezeugt hätte, daher wird niemand aus meinem Geschlecht je wieder die Seenvölker regieren, auch wenn sie heute noch darüber streiten, wer Speer und Standarte des Großthans tragen sollte. Ich nehme an, nach meinem Tod wird auch niemand in
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