Der siebte Schrein
aufflammte, schien es in dem Raum noch dunkler zu werden, als würde sich selbst das Licht der Fackeln der Feuerstelle entgegenneigen und verschlungen werden. Die Flammen stiegen hoch.
Das Rascheln des Schattenbaums hörte auf. Alles wurde still - nicht einmal die Flammen gaben ein Geräusch von sich. Mein Herz klopfte, als ich mich nach vorne beugte und fast vergaß, in meinem Versteck zu bleiben. Es war tatsächlich ein Schwarzes Feuer, das an jenem tiefen, verlorenen Ort brannte, ein Feuer, das wie alle anderen flackerte, dessen Flammen jedoch Wunden im Äther der Welt selbst waren, Löcher so dunkel und leer wie ein Himmel ohne Sterne.
Es ist schwer zu glauben, aber das habe ich gesehen. Ich konnte durch die Flammen des Schwarzen Feuers sehen, aber nicht auf das, was sich dahinter befand, sondern auf etwas, das anderswo lag - zuerst im Nichts, aber dann dehnten sich Farben und Formen in dem Raum über der Feuerstelle aus, als würde etwas das Innerste der Luft selbst nach außen kehren.
Ein Gesicht tauchte in dem Feuer auf. Ich mußte mich zusammenreißen, um nicht zu schreien.
Der von den schwarzen Flammen umgebene Fremde hatte keine Ähnlichkeit mit Menschen, wie ich sie kannte. Die Form seines Gesichts stimmte irgendwie nicht, sein Kinn war zu schmal, die großen Augen an den Winkeln aufwärts geneigt. Sein Haar war lang und weiß, aber er sah nicht alt aus. Er war von der Taille aufwärts nackt, gräßliche Narben zeichneten seine blasse, glänzende Haut, aber trotz der Flammen, in denen er lag, schienen seine Verbrennungen alt und nicht neu zu sein.
Das Schwarze Feuer brachte selbst die Dunkelheit außer Form. Alles ringsum wurde verzerrt, als würde die Welt selbst so gedehnt und verwackelt werden wie die Spiegelung auf einer Blase im Flußwasser.
Der brennende Mann schien in den Flammen zu schlummern, aber es war ein gräßlicher, unruhiger Schlaf. Er zuckte und wand sich und hielt sogar einmal die Hände vor das Gesicht, als wollte er sich vor einem schrecklichen Angriff schützen. Als er schließlich die Augen aufschlug, waren sie so dunkel wie Schatten und betrachteten Dinge, die ich nicht sehen konnte, Schatten weit jenseits des Feuers. Er öffnete den Mund zu einem schrecklichen, lautlosen Schrei, und trotz seines fremden Äußeren, obwohl ich solche Angst hatte, daß ich befürchtete, mein Herz würde stehenbleiben, tat es mir weh, ihn so leiden zu sehen. Wenn er lebte, wie konnte sein Körper immerzu brennen, ohne verzehrt zu werden? Wenn er ein Geist war, warum hatte der Tod seinen Qualen noch kein Ende bereitet?
Tellarin und Avalles wichen mit aufgerissenen und ängstlichen Augen von der Feuerstelle zurück.
Mein Stiefvater betrachtete den zuckenden Mund und die blinden Augen des brennenden Mannes und drehte sich zu der Hexe Valada um. »Warum spricht er nicht zu uns? Tu etwas!«
Sie lachte ihr schrilles Lachen. »Ihr wolltet einen der Sithi treffen, Lord Sulis - einen der Friedfertigen. Ihr wolltet eine Tür finden, aber manche Türen führen nicht ins Anderswo, sondern ins Anderswann. Das Schwarze Feuer hat Euch einen des Edlen Volkes im Schlaf gebracht. Er träumt, kann Euch aber durch die Jahrhunderte hören. Sprecht mit ihm! Ich habe getan, was ich versprochen habe.«
Sulis drehte sich sichtlich erschüttert zu dem Mann in den Flammen um. »Du!« rief er. »Kannst du mich verstehen?«
Der brennende Mann wand sich wieder, aber nun blickte er mit den dunklen, blinden Augen in Richtung meines Stiefvaters. »Wer ist da?« fragte er, und ich hörte seine Stimme in meinem Schädel statt mit den Ohren. »Wer wandelt auf der Straße der Träume?« Die Erscheinung hob eine Hand, als könnte der Mann durch die Jahre greifen und uns berühren. Einen Moment verdrängte Erstaunen die Qual von seinem seltsamen Gesicht. »Ihr seid Sterbliche! Aber warum kommt ihr zu mir? Warum stört ihr den Schlaf von Hakatri vom Haus des Jahrestanzes?«
»Ich bin Sulis.« Mit seiner bebenden Stimme wirkte mein Stiefvater wie ein alter, alter Mann. »Von manchen ›der Renegat‹ genannt. Ich habe alles riskiert, was ich besitze - habe jahrelang studiert -, um eine Frage zu stellen, die nur die Friedfertigen beantworten können. Wirst du mir helfen?«
Der brennende Mann schien ihm nicht zuzuhören. Sein Mund zuckte wieder, und diesmal hatte der Schmerzensschrei einen Klang. Ich versuchte, mir die Ohren zuzuhalten, aber der Schrei ertönte schon in meinem Kopf. »Ah, es brennt!« stöhnte er. »Immer noch
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