Der siebte Schrein
Pökelfleisch.
Ei schlief kurz darauf neben dem niedergebrannten Feuer ein. Dunk lag auf dem Rücken daneben, die großen Hände hinter dem Kopf verschränkt, und sah zum Nachthimmel hinauf. Er konnte leise Musik vom eine halbe Meile entfernten Turniergelände hören. Die Sterne waren überall, Tausende und Abertausende. Einer fiel vor seinen Augen herab, ein hellgrüner Streifen, der über die Schwärze schoß und verschwand.
Es bringt Glück, eine Sternschnuppe zu sehen, dachte Dunk. Aber alle anderen sind inzwischen in ihren Zelten und sehen Seide an Stelle des Himmels. Also gehört das Glück mir allein.
Am Morgen erwachte er, als ein Hahn krähte. Ei war noch da und hatte sich unter dem zweitbesten Mantel des alten Mannes zusammengerollt. Nun, der Junge ist im Lauf der Nacht nicht weggelaufen, das ist immerhin ein Anfang. Er stieß ihn mit dem Fuß an und weckte ihn. »Auf. Es gibt viel zu tun.« Der Junge stand rasch auf und rieb sich die Augen. »Hilf mir, Leichtfuß zu satteln«, sagte Dunk zu ihm.
»Was ist mit Frühstück?«
»Es gibt Pökelfleisch. Nachdem wir fertig sind.«
»Lieber esse ich das Pferd«, sagte Ei. »Ser.«
»Du ißt meine Faust, wenn du nicht tust, was ich dir sage. Hol die Bürsten! Sie sind in der Satteltasche. Ja, in der.«
Gemeinsam bürsteten sie das rotbraune Fell von Leichtfuß, legten ihr Ser Arlans besten Sattel auf den Rücken und zurrten ihn fest. Dunk sah, daß Ei ein guter Arbeiter war, wenn er sich auf seine Tätigkeit konzentrierte.
»Ich gehe davon aus, daß ich den größten Teil des Tages fort sein werde«, sagte er dem Jungen, als er aufstieg. »Du bleibst hier und bringst das Lager in Ordnung. Sieh zu, daß keine anderen Diebe herumschnüffeln kommen.«
»Kann ich ein Schwert haben, um sie damit zu vertreiben?« fragte Ei. Er hatte blaue Augen, sah Dunk, sehr dunkel, fast purpurn. Durch seinen kahlen Kopf wirkten sie irgendwie riesig. »Nein«, sagte Dunk. »Ein Messer ist genug. Und du solltest besser hier sein, wenn ich zurückkomme, hast du verstanden? Wenn du mich ausraubst und fliehst, werde ich dich aufspüren, das schwöre ich. Mit Hunden.«
»Ihr habt keine Hunde«, bemerkte Ei.
»Ich besorge mir welche«, sagte Dunk. »Nur für dich.« Er drehte den Kopf von Leichtfuß zur Wiese, ritt im raschen Trott davon und hoffte, die Drohung würde ausreichen, daß der Junge ehrlich blieb. Abgesehen von den Kleidern am Leib, der Rüstung in seinem Sack und dem Pferd unter ihm befand sich alles, was Dunk besaß, im Lager. Ich bin ein großer Narr, daß ich dem Jungen so vertraue, aber es ist nicht mehr, als der alte Mann für mich getan hat, überlegte er. Die Mutter muß ihn mir geschickt haben, damit ich meine Schuld begleichen kann.
Als er das Feld überquerte, hörte er Hammerschläge vom Flußufer, wo die Zimmerleute Absperrungen für das Turnier errichteten und eine prächtige Tribüne aufbauten. Einige neue Zelte wurden ebenfalls errichtet, während die Ritter, die früher eingetroffen waren, die Zechgelage der vergangenen Nacht ausschliefen oder sich niedersetzten, um zu frühstücken. Dunk konnte den Rauch von Holz riechen, aber auch Speck.
Nördlich der Wiese verlief der Fluß Cockleswent, ein Nebenfluß des mächtigen Mander. Jenseits der seichten Furt lagen Stadt und Schloß. Dunk hatte im Verlauf seiner Reisen mit dem alten Mann viele Marktstädtchen gesehen. Dieses war hübscher als die meisten; die weißgetünchten Häuser mit ihren Schindeldächern hatten etwas Anheimelndes. Als er kleiner war, hatte er sich oft gefragt, wie es sein mochte, in so einem Haus zu leben; jede Nacht mit einem Dach über dem Kopf zu schlafen, und jeden Morgen mit denselben Wänden um dich herum aufzuwachen. Vielleicht werde ich es bald erfahren. Jawohl, und Ei auch. Es könnte dazu kommen. Seltsamere Dinge geschahen jeden Tag.
Das Schloß von Ashford war ein Gebäude aus Stein mit dem Grundriß eines Dreiecks. An jeder Spitze ragten zehn Meter hohe runde Türme auf, dazwischen verliefen dicke Mauern mit Zinnen. Orangefarbene Banner, die das weiße Wappen mit Sonne und Winkel des Schloßherrn zeigten, flatterten über den Brüstungen. Bewaffnete Männer in orangeroter und weißer Livree standen mit Hellebarden vor den Toren, verfolgten das Kommen und Gehen der Leute und schienen mehr darauf erpicht zu sein, mit einem hübschen Milchmädchen zu scherzen, als jemanden fernzuhalten. Dunk zügelte sein Pferd vor dem kleinwüchsigen, bärtigen Mann, den er für
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