Der siebte Schrein
Männer.« Ser Humfrey Hardyng war erst gestern nacht seinen Verletzungen erlegen.
»Und welche Antwort gibt Euch Euer Baum?«
»Keine, die ich hören könnte. Aber der alte Mann, Ser Arlan, der sagte jeden Abend in der Dämmerung: ›Ich frage mich, was der Morgen bringen wird.‹ Er wußte es nie, sowenig wie wir. Nun, könnte es nicht sein, daß ein Morgen kommen wird, an dem ich diesen Fuß brauchen werde? An dem das Reich diesen Fuß brauchen wird, noch mehr als das Leben eines Prinzen?«
Maekar verdaute das eine Zeitlang mit verkniffenen Lippen unter dem silbergrauen Bart, der seinem Gesicht so ein eckiges Aussehen verlieh. »Das ist verdammt unwahrscheinlich«, sagte er barsch. »Das Reich verfügt über so viele Heckenritter wie Hecken, und alle haben Füße.«
»Wenn Euer Gnaden eine bessere Antwort haben, möchte ich sie hören.«
Maekar runzelte die Stirn. »Es könnte sein, daß die Götter Gefallen an grausamen Streichen haben. Vielleicht gibt es gar keine Götter. Vielleicht hatte das alles keinen Sinn. Ich würde den Hohen Septon fragen, aber als ich das letzte Mal bei ihm war, sagte er mir, daß kein Mensch das Wirken der Götter wirklich begreifen kann. Vielleicht sollte er einmal versuchen, unter einem Baum zu schlafen.« Er verzog das Gesicht. »Mein jüngster Sohn scheint einen Narren an Euch gefressen zu haben, Ser. Es ist höchste Zeit, daß er ein Knappe wird, aber er sagt, er will keinem anderen Ritter dienen als Euch. Er ist ein widerborstiger Junge, wie Ihr sicher bemerkt habt. Wollt Ihr ihn haben?«
»Ich?« Dunk machte den Mund auf und zu und wieder auf. »Ei . . . Aegon, meine ich, er ist ein guter Junge, aber, Euer Gnaden, ich weiß, Ihr erweist mir eine Ehre, aber . . . ich bin nur ein Heckenritter.«
»Das läßt sich ändern«, sagte Maekar. »Aegon soll in mein Schloß in Summerhall zurückkehren. Dort gibt es auch einen Platz für Euch, wenn Ihr wollt. Einen Ritter meines Haushalts. Ihr schwört Euer Schwert auf meinen Namen ein, und Aegon kann Euer Knappe sein. Während Ihr ihn ausbildet, wird mein Waffenmeister Eure eigene Ausbildung beenden.« Der Prinz sah ihn verschmitzt an. »Euer Ser Arlan hat für Euch getan, was er konnte, daran zweifle ich nicht, aber Ihr habt trotzdem noch viel zu lernen.«
»Ich weiß, m´Lord.« Dunk sah sich um. Das grüne Gras, das Schilfrohr, die hohe Ulme, die Wellen auf der Oberfläche des Teiches, der in der Sonne glitzerte. Eine andere Drachenfliege schwebte über dem Wasser, vielleicht war es auch dieselbe. Was soll es sein, Dunk? fragte er sich. Drachenfliege oder Drache? Vor ein paar Tagen wäre ihm die Antwort nicht schwergefallen. Es war alles, was er sich je erträumt hatte, aber jetzt, wo der Traum in greifbare Nähe gerückt war, bekam er es mit der Angst zu tun. »Kurz bevor Prinz Baelor starb, habe ich geschworen, daß ich sein Mann sein würde.«
»Anmaßend von Euch«, sagte Maekar. »Was hat er gesagt?«
»Daß das Reich gute Männer braucht.«
»Das ist allerdings wahr. Was sagt Ihr?«
»Ich werde Euren Sohn als Knappen nehmen, Euer Gnaden, aber nicht in Summerhall. Erst in ein oder zwei Jahren. Ich würde sagen, er hat genug Schlösser gesehen. Ich nehme ihn nur, wenn ich ihn mit mir auf die Straße nehmen kann.« Er zeigte auf den alten Braunen. »Er wird meinen Gaul reiten, meinen alten Mantel tragen und mein Schwert scharf und mein Kettenhemd blank halten. Wir werden in Gasthäusern und Ställen schlafen, und hin und wieder in den Sälen eines begüterten Ritters oder unbedeutenden Lords und vielleicht unter Bäumen, wenn es sein muß.«
Prinz Maekar sah ihn ungläubig an. »Hat Euch das Turnier den Verstand vernebelt, Mann? Aegon ist ein Prinz des Reiches. Prinzen sind nicht dafür geschaffen, in Straßengräben zu schlafen und hartes gepökeltes Rindfleisch zu essen.« Er sah, daß Dunk zögerte. »Was fürchtet Ihr mir zu sagen? Sagt, was Ihr wollt, Ser.«
»Ich wette, Daeron hat nie in einem Straßengraben geschlafen«, sagte Dunk sehr leise, »und all das Rindfleisch, das Aerion gegessen hat, war zweifellos immer dick und blutig und saftig.«
Maekar Targaryen, Prinz von Summerhall, sah Dunk vom Flohviertel lange an, und sein Kiefer arbeitete lautlos unter dem silbernen Bart. Schließlich drehte er sich um und ging davon, ohne ein Wort zu sagen. Dunk hörte, wie er mit seinen Männern fortritt. Als sie gegangen waren, war kein Laut mehr zu hören, abgesehen vom leisen Flügelschlag der Drachenfliege, die über
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