Der siebte Schrein
angefangen hatte, selbst künftige Läufer in die Welt zu setzen.
»Wir sind von Haus aus schlank und langbeinig, jedenfalls die meisten, mit großen Lungen und kräftigen Knochen. Ah ja, ein paar kommen heraus, die mehr für Schnelligkeit als lange Strecken taugen, aber die kommen bei Zusammentreffen gut zupaß und erreichen die Ziellinie, bevor die anderen das Startband verlassen haben. Wir haben unseren Platz auf der Welt genau wie Burgherren und sogar das Weyrvolk. Jedem das Seine! Weber und Gerber und Bauer und Fischer und Schmied und Läufer und alle.«
»So haben wir das Pflichtenlied aber nicht gelernt«, hatte Tennas jüngerer Bruder bemerkt.
»Vielleicht«, hatte Cesila grinsend geantwortet, »aber so singe ich es, und ihr könnt das auch. Ich muß mit dem nächsten Harfner sprechen, der hier vorbeikommt. Er kann den Text ändern, wenn er will, daß wir seine Nachrichten befördern.« Und sie schüttelte einmal nachdrücklich den Kopf, um das Gespräch zu beenden.
Sobald von Läufern gezeugte Kinder ausgewachsen waren, wurden sie einem Test unterzogen, ob sie das richtige Blut für die Aufgabe hatten. Tennas Beine wuchsen nicht mehr, seit sie den fünfzehnten vollen Planetenumlauf erreicht hatte. Da wurde sie von einem erfahrenen Läufer aus einem anderen Geschlecht eingeschätzt. Tenna war sehr nervös gewesen, aber ihre Mutter hatte ihrer schlaksigen Tochter auf ihre übliche beiläufige Art einen wissenden Blick zugeworfen.
»Neun Kinder habe ich deinem Vater Fedri geschenkt, und vier sind bereits Läufer. Du wirst auch eine Läuferin, keine Bange.«
»Aber Sedra ist . . .«
Cesila hielt die Hand hoch. »Ich weiß, deine Schwester ist verheiratet und bringt Kinder zur Welt, aber sie hat zwei Überquerungen gemacht, bis sie einen Mann gefunden hatte, den sie haben wollte. Also zählt sie auch. Man braucht das richtige Blut, um Läufer zu zeugen, und wir haben es.« Cesila machte eine Pause, um sicherzugehen, daß Tenna sie nicht wieder unterbrechen würde. »Ich komme aus einer zwölfköpfigen Familie, alles Läufer. Und all ihre Kinder sind wieder Läufer geworden. Du wirst laufen, Mädchen. Mach dir da keine Gedanken. Du wirst laufen.« Dann lachte sie. »Bei einer Frau geht es darum, wie lange, nicht ob.«
Tenna hatte vor langer Zeit beschlossen - als man sie für alt genug hielt, auf ihre jüngeren Geschwister aufzupassen -, daß sie lieber laufen als Läufer großziehen würde. Sie würde laufen, bis sie die Knie nicht mehr heben konnte. Sie hatte eine Tante, die nie geheiratet hatte: Sie war gelaufen, bis sie älter gewesen war als Cesila jetzt, und dann hatte sie die Leitung einer Verbindungsstation am Weg nach Igen übernommen. Sollte etwas passieren und sie nicht mehr laufen können, hätte Tenna nichts dagegen einzuwenden, eine Station zu leiten. Ihre Mutter leitete ihre perfekt, hatte stets heißes Wasser bereit, um die Schmerzen in den Gliedern der Läufer zu lindern, gutes Essen, bequeme Betten, und ihre Heilkünste konnten es mit denen aufnehmen, die man in einer Burg fand. Und es war immer aufregend, weil man nie wußte, wer an einem bestimmten Tag angelaufen kam und wohin er unterwegs war. Läufer durchquerten den Kontinent regelmäßig und hatten Nachrichten von anderen Teilen Perns dabei. Viele wußten interessante Geschichten über Probleme auf den Pfaden zu berichten, und wie man sie löste. Man hörte viel von anderen Burgen und Hallen und dem einen Drachenweyr, und obendrein, was die Läufer am meisten interessierte: wie die Bedingungen waren und welche Pfade nach einem schweren Regen oder Erdrutsch ausgebessert werden mußten.
Sie war jedoch ziemlich erleichtert, als ihr Vater ihr sagte, daß er Mallum von der Station Telgar gebeten hatte, ihr Prüfer zu sein. Wenigstens hatte Tenna den Mann bei den Gelegenheiten gesehen, wenn ihn sein Weg durch ihre Station am Rand der Ebenen von Keroon geführt hatte. Er war, wie andere Läufer, ein langer, schlaksiger Mann mit langem Gesicht und grauem Haar, das er mit einem Schweißband nach hinten band wie die meisten Läufer.
Ihre Eltern sagten ihr nicht, wann Mallum erwartet wurde, aber eines schönen Morgens stand er da, übergab einen Beutel, der am Brett an der Tür aufgehängt wurde, und hinkte zum erstbesten Stuhl.
»Hab mir die Ferse gestoßen. Wir müssen den Südweg wieder von Steinen befreien. Ich schwöre, nach ein oder zwei Planetenumläufen sind sie wieder nachgewachsen«, sagte er, wischte sich mit dem orangefarbenen
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