Der siebte Schrein
sie sich im Spiegel betrachtete, konnte sie sehen, daß das Oberteil jetzt viel besser saß und sie mehr aussah wie . . . wie . . . nun, jedenfalls paßte es besser. Der Stoff fühlte sich so glatt an, es war eine Lust, das blaue Kleid nur an sich zu spüren. Und dieser Blauton . . .
»Das ist Harfnerblau«, sagte sie überrascht.
»Natürlich«, sagte Silvina lachend. »Nicht, daß es eine Rolle spielen würde. Du wirst Läuferkordeln tragen . . . aber im Augenblick«, und Silvinas anerkennendes Grinsen wurde breiter, »siehst du nicht wie eine Läuferin aus . . . wenn du nur meine Offenheit verzeihst.«
Tenna war ganz verblüfft, wieviel besser ihre Figur mit dieser kleinen Veränderung aussah. Sie hatte eine schlanke Taille, an die sich das Kleid schmiegte, bevor es sich über Hüften bauschte, die, wie sie wußte, zu knochig waren und am besten bedeckt wurden.
»Die Polster werden doch nicht . . . rausspringen . . . wenn ich tanze, oder?«
»Wenn du das Kleid ausziehst, werde ich sie mit ein paar Stichen dort befestigen, wo sie hingehören«, sagte Silvina.
Das geschah so schnell, daß Silvina Tenna das hübsche Kleid zusammengelegt überreichte, ehe sie sich´s versah.
»Und Schuhe?« fragte Spacia. »Sie kann keine Spikes tragen . . . «
»Sollte sie besser doch«, sagte Rosa mürrisch, »bei einigen dieser Rüpel, die zur Zusammenkunft nach Fort kommen. Haligon ist nicht der einzige, der sich an sie ranmachen wird, wenn sie so aussieht.«
Silvina warf einen prüfenden Blick auf Tennas lange, schmale Füße und holte eine lange Kiste von einem der Regale in diesem riesigen Lagerraum.
»Ich müßte etwas haben, das selbst an schmale Läuferfüße paßt . . .«, murmelte sie und förderte ein Paar weiche, knöchelhohe schwarze Wildlederschuhe zutage. »Probier mal die!«
Sie paßten nicht. Aber das vierte Paar - dunkelrot - war nur ein klein wenig zu lang.
»Trag dicke Socken, dann passen sie«, schlug Spacia vor.
Dann verabschiedeten sich die drei Mädchen; Tenna trug das Kleid vorsichtig zur Station. Rose und Spacia bestanden darauf, Schuhe und Unterrock zu tragen, die Silvina zur Vervollständigung des Kostüms angeboten hatte.
Am nächsten Morgen lag der letzte Stichlingsbuschdorn auf dem Verband, und Beveny legte ihn zu den anderen und gab das Bündel mit den Beweisstücken Torlo, der zufrieden grinste.
»Wenn Baron Groghe das sieht, wird er begreifen, daß wir eine begründete Beschwerde haben«, sagte er und nickte Tenna nachdrücklich zu. Sie wollte Einwände vorbringen, als er hinzufügte: »Aber erst nach der Zusammenkunft, denn im Augenblick ist er zu beschäftigt, als daß man ihn direkt ansprechen könnte. Und nach einer guten Zusammenkunft wird er in viel besserer Stimmung sein.« Er wandte sich an Tenna. »Also mußt du bleiben, bis sie vorbei ist. Das wäre das.«
»Aber ich könnte kurze Strecken laufen, oder nicht?«
»Mmm«, sagte Torlo nickend. »Wenn ein Lauf ansteht. Bist nicht gern müßig, Mädchen, was?« Sie schüttelte den Kopf. »Was ist, Heiler, ist sie wieder fit?«
»Kurze Strecken, keine Steigungen«, sagte Beveny, »und keine, wo Haligon reiten könnte.« Er grinste sie spitzbübisch an und ging.
Kurz vor Mittag rief Torlo sie von der Bank am Eingang, wo sie zugesehen hatte, wie die Stände der Zusammenkunft aufgestellt wurden.
»Lauf runter zum Hafen für mich, ja? Gerade wurde per Trommel ein Schiff mit Fracht für die Zusammenkunft angekündigt. Wir sollen seine Ladepapiere bekommen.« Er nahm sie an den Armen und zeigte ihr die Route zum Hafen auf der großen Karte von Burg Fort, die die umliegenden Wege und Straßen zeigte. »Gerade Strecke . . . bergab bis zum Hafen. Und auf dem Rückweg nicht zu steil.«
Es tat gut, wieder zu laufen, und obwohl das Frühlingswetter kühl geworden war, war sie bald warmgelaufen. Der Kapitän war höchst erleichtert, daß er ihr seine Papiere übergeben konnte. Die Fracht wurde gerade ausgeladen, und er wollte sie unbedingt auf den Weg bringen, damit die Waren rechtzeitig zur Zusammenkunft in der Burg einträfen. Ebenso dringend wollte er die Bezahlung für seine Lieferung, und sie konnte ihm zusagen, daß die Papiere bis zur Mittagszeit in den Händen derer wären, für die sie bestimmt waren.
Außerdem hatte er einen Beutel mit Briefen von der Meeresküste im Osten an Bord, die an Burg Fort adressiert waren. Und so beförderte sie einen vollen Beutel zurück. Sie spürte die leichte Steigung in den Beinen, machte
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