Der siebte Schrein
Heiden, die in unseren Betten schlafen, im Frühjahr nachgeben und uns unsere Nachbarn besuchen lassen, wird dich das erste Bauernmädchen, dem du begegnest, von dem bösen Kind meines Herrn ablenken.«
»Böses Kind?« fragte Dirk. »Was meinst du damit?«
Litia sagte: »Nichts, süßer Knabe. Sie ist ein eigensinniges Mädchen, das immer bekommt, was sie will, mehr nicht. Was du brauchst, das ist eine gute, kräftige Gefährtin, ein Bauernmädchen mit breiten Hüften, das dir Söhne zur Welt bringt, die dich im Alter versorgen.«
Dirk entging die Verbitterung in den Worten der alten Litia nicht, auch wenn er jung war. Er wußte, daß ihr einziger Sohn vor Jahren ertrunken war und sie niemanden hatte, der sie versorgte. Dirk sagte: »Morgen versuche ich, noch eine Decke aus dem Haus für dich zu bekommen.«
»Meinetwegen sollst du dich nicht in Schwierigkeiten bringen«, sagte die Frau, aber ihre Miene sagte, daß sie dankbar für das Angebot war.
Dirk ließ sie sitzen und kletterte die Leiter zum Schober hinauf, wo die jungen Männer schliefen. Er war der jüngste hier oben, denn die Jungs, die jünger waren als er, schliefen bei ihren Familien. Alex, Hans und Leonard schliefen bereits. Hemmy und Petir würden bald kommen. Dirk wünschte sich auch für sich noch eine Decke, wußte aber, daß er sich mit denen begnügen mußte, die ihm überlassen wurden. Wenigstens eine Seite von ihm würde immer warm bleiben, wenn er sich an Hemmy kuschelte, den nächstälteren Jungen. Er würde sich in der Nacht ein paarmal umdrehen, um der kalten Zugluft zu entgehen.
Und es dauerte nur noch zwei Monate, bis der Frühling kam. Hemmy und Petir kletterten herauf und nahmen ihre Plätze auf dem Schober ein, und Dirk hüllte sich so gut wie möglich in seine Decken und schlief ein.
Es war ein seltsames Geräusch, und Dirk konnte es nicht richtig zuordnen, als er in der Dunkelheit erwachte. Dann fiel es ihm ein: Jemand hatte geschrien. Es war ein gedämpfter Laut gewesen, aber ein Schrei. Dirk horchte einen Moment, aber das Geräusch wiederholte sich nicht. Er versuchte, wieder einzuschlafen.
Als er gerade wieder schläfrig wurde, hörte er ein Knirschen und die Geräusche von jemandem, der sich im Schuppen bewegte. Nach einem dumpfen Schlag und einem seltsam gurgelnden Geräusch stützte er sich auf den rechten Ellbogen und horchte in die Dunkelheit. Er strengte sich an, etwas zu hören, konnte die Geräusche aber nicht ausmachen. Er vermutete, daß es wieder Mikia und Torren waren, und drehte sich um, um endlich zu schlafen.
Wieder war er fast eingedöst, als ihm klar wurde, daß etwas nicht stimmte. Als er sich umdrehte, sah er in der Dunkelheit etwas rasch auf sich zu kommen, eine große, dunkle Gestalt. Er richtete sich auf und wich instinktiv vor dem zurück, was sich ihm da näherte.
Zwei Dinge geschahen gleichzeitig: Jemand schlug nach ihm, wobei eine Messerklinge den Stoff seines Mantels unter dem Schlüsselbein durchschnitt, und er stieß mit dem Rücken gegen die Heutür. Er würgte einen unartikulierten Schrei heraus und konnte nicht sprechen, so sehr erfüllte ihn Entsetzen. Dann stieß ein anderer Leib mit einem erstickten Schrei gegen ihn, und er spürte, wie der Riegel der Tür hinter ihm nachgab.
Die Tür, die nie besonders stabil gewesen war, hielt dem Gewicht von zwei Körpern nicht stand, und Dirk fiel mit einem gedämpften Schrei nach unten auf den schneebedeckten Boden. Der Aufprall trieb ihm die Luft aus den Lungen.
Dann landete der andere Junge auf ihm, und Dirk verlor das Bewußtsein.
Als er erwachte, wurde der Himmel bereits hell. Ihm war eiskalt, er konnte kaum atmen. Sein linkes Auge schien verklebt zu sein, und etwas auf ihm hielt ihn fest am Boden.
Dirk versuchte, sich zu bewegen, und stellte fest, daß Hemmy auf ihm lag. »He, geh runter!« sagte er, aber seine Stimme klang schwach und erstickt. Brennende Schmerzen unterhalb seines Halses ließen ihn aufstöhnen, als er sich bewegte.
Seine Beine waren taub vor Kälte, und er lag in einem Loch im Schnee. Er bewegte den Hintern, schaffte es, sich aufzurichten, und stellte fest, daß Hemmy tot war. Das Gesicht des älteren Jungen war weiß, seine Kehle durchgeschnitten. Das Grauen verlieh Dirk Flügel, und es gelang ihm, den Leichnam so weit hochzuheben, daß er unter ihm herauskriechen konnte, wobei er seine tauben Beine zwingen mußte, ihm zu gehorchen.
Er zog sich aus dem Schnee und spürte die stechenden Schmerzen in den Muskeln,
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