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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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und der vertraute Griff in seiner Hand hatte etwas Tröstliches.
    Er mußte etwas tun, um Anika zu finden, wußte aber nicht, was. Drugen mußte sie zusammen mit dem Gold mitgenommen haben. Er rannte zur Scheune zurück, um nachzusehen, ob sonst noch jemand überlebt haben könnte. Nach wenigen Minuten wußte er, daß nur er und Anika noch am Leben waren.
    Und natürlich die Tsurani.
    Panik überkam Dirk. Er wußte, wenn einer von ihnen den Kopf zu einer der Hütten herausstreckte, würde Dirk gehängt werden, weil er ein Küchenmesser in der Hand hielt, aus welchem Grund auch immer.
    Er versteckte das Messer in seinem Wams und kletterte auf den Heuschober. Er ging zu dem Leinensack, der ihm als Schrank diente und seine wenigen Habseligkeiten enthielt. Er zog seinen einzigen Mantel aus und sah den langen Schnitt unter dem Kragen. Drugen hatte zuerst ihn aufschlitzen wollen, weil er gesehen hatte, daß Dirk wach geworden war. Er mußte geglaubt haben, daß er Dirk die Kehle durchgeschnitten hatte. Dann hatte er Hemmy getötet, ihn auf Dirk gestoßen und damit bewirkt, daß sie beide durch die Heutür gefallen waren. Dirk wußte, daß nur die Dunkelheit und sein Sturz ihm das Leben gerettet hatten. Wäre er nicht aus der Scheune gefallen, hätte sich Drugen ganz bestimmt vergewissert, ob der Junge tot war.
    Dirk zog ein zusätzliches Hemd gegen die Kälte an, und beachtete das klebrige Blut nicht, das sein Unterhemd und das Hemd, das er bereits trug, getränkt hatte. Die zusätzliche Schicht Kleidung konnte den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. Er überlegte, ob er einem der anderen Jungs das Wams ausziehen sollte, brachte es aber nicht über sich, die Leichen seiner toten Freunde zu berühren.
    Er zog den Mantel wieder an und holte sein einziges Paar Handschuhe aus dem Sack, zusammen mit dem Wollschal, den Litia im Jahr zuvor für ihn gestrickt hatte. Er zog sie an und überprüfte die Habseligkeiten in seinem Sack: Es war nichts mehr darin, das ihm seiner Ansicht nach helfen konnte.
    Er kletterte eilig die Leiter hinunter. Er hatte nur einen Gedanken, nämlich dem Mörder zu folgen. Ihn befiel eine schreckliche Angst, die Tsurani zu wecken, und er war nicht sicher, ob es sie überhaupt interessieren würde, daß Menschen ermordet worden waren, die sie eindeutig als ihnen unterlegen einstuften. Dirk fürchtete, sie könnten ihm die Schuld geben und ihn hängen.
    Drugen. Er mußte Drugen finden und Anika retten und ihr das Gold wiederbeschaffen. Der Junge wußte, ohne das Gold wäre das Mädchen der Gnade der Stadtbewohner ausgeliefert. Sie würde gezwungen sein, auf die Großzügigkeit von Verwandten und Freunden zu bauen. Aber er hatte so große Angst, daß er sich kaum bewegen konnte. Er stand vor Unentschlossenheit wie gelähmt im Mittelgang der Scheune.
    Nach einer Weile hörte er einen Schrei über das Anwesen hallen. Die Tsurani waren aufgestanden, und einer hatte etwas gesehen. Stimmen riefen draußen durcheinander, und Dirk wußte, in wenigen Augenblicken würden sie in der Scheune sein.
    Er versteckte sich in der dunkelsten Ecke der Nische, die am weitesten vom Tor entfernt war, und zitterte vor Kälte und Angst, als Männer in die Scheune kamen und sich rasch in ihrer seltsamen Sprache unterhielten. Zwei gingen an der Stelle vorbei, wo Dirk lag, und einer warf ihm einen kurzen Blick zu. Er mußte Dirk für tot gehalten haben, denn er sagte nichts zu seinem Gefährten, der die Leiter zum Heuschober hinaufkletterte. Nach einem Moment rief er etwas herunter, und der andere antwortete. Er hörte den Mann wieder die Treppe herunterkommen, worauf die beiden die Scheune verließen. Dirk wartete, bis es wieder still geworden war, dann verließ er seinen Platz im Stroh. Er eilte zur Tür und sah hinaus. Von seinem Beobachtungsposten aus konnte er sehen, wie ein Tsurani den anderen Anweisung gab, die Gegend zu durchsuchen.
    Dirk wußte nicht, was er als nächstes tun sollte, und wartete ab. Ein Tsurani, von dem Dirk wußte, daß er einen gewissen Rang bekleidete, kam heraus und zeigte auf die Spuren im Schnee. Es folgte eine kurze Debatte, worauf der Mann, der die anderen auf die Suche geschickt hatte, zu sagen schien, daß jemand dem Mörder folgen müsse.
    Dann sagte der Anführer etwas im Kommandoton, worauf sich der andere Mann leicht verbeugte und abwandte. Dirk wurde klar, daß niemand Drugen folgen würde. Er würde ungeschoren davonkommen, obwohl er mehr als zwei Dutzend Menschen getötet und Anika

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