Der siebte Schrein
gestatteten, die Brücke zu überqueren, und gaben gelegentlich jemandem zu verstehen, er solle die Kapuze weiter zurückschieben. Nicht mehr als eine Geste war erforderlich; in jedem Grenzland war es per Gesetz verboten, in einer Stadt oder einem Dorf sein Gesicht zu verbergen, und niemand wollte für einen Augenlosen gehalten werden, der versuchte, sich in die Stadt zu schleichen. Grimmige Blicke folgten Lan und Bukama auf der Brücke. Ihre Gesichter waren deutlich zu sehen. Und ihre Hadori. Aber in keinem der neugierigen Augenpaare war das Leuchten des Wiedererkennens zu sehen. Zwei Jahre waren eine lange Zeit in den Grenzländern. Viele Menschen konnten in zwei Jahren sterben.
Lan fiel auf, daß Bukama still geworden war, immer ein schlechtes Zeichen, und ermahnte ihn. »Ich fange nie Ärger an«, bellte der alte Mann, hörte aber auf, an seinem Schwertgriff herumzufingern.
Die Wachen auf der Mauer über dem offenen eisenbeschlagenen Tor und die auf der Brücke trugen nur Rücken- und Brustplatten als Rüstung, waren aber nicht weniger wachsam, besonders angesichts von zwei Malkieri mit nach hinten gebundenen Haaren. Bukamas Mund wurde mit jedem Schritt verkniffener.
»Al´Lan Mandragoran! Das Licht beschütze uns - wir haben gehört, daß Ihr im Kampf gegen die Aiel bei den Leuchtenden Mauern gefallen seid!« Der Ausruf kam von einem jungen Wachsoldaten, der größer als die anderen war, fast so groß wie Lan. Jung, vielleicht ein oder zwei Jahre jünger als er selbst, und doch schien der Abstand zehn Jahre zu betragen. Ein Leben. Der Wachsoldat verbeugte sich tief, linke Hand am Knie. »Tai´shar Malkier!« Wahres Blut von Malkier. »Ich bin bereit, Majestät.«
»Ich bin kein König«, sagte Lan ruhig. Malkier war tot. Nur der Krieg lebte noch. Zumindest in ihm.
Bukama war nicht ruhig. »Du bist wofür bereit, Junge?« Mit dem Ballen der bloßen Hand klopfte er dem Wachsoldaten direkt über dem roten Hirsch auf den Brustpanzer, so daß der Mann sich aufrichtete und einen Schritt zurückwich. »Du schneidest dein Haar kurz und trägst es offen!« Bukama spie die Worte heraus. »Du hast einem Kandori-Lord Treue geschworen! Mit welchem Recht nimmst du für dich in Anspruch, Malkieri zu sein?«
Das Gesicht des jungen Mannes wurde rot, während er nach einer Antwort suchte. Andere Wachen kamen auf das Paar zu, blieben aber stehen, als Lan die Zügel fallen ließ. Nur das, aber inzwischen kannten sie seinen Namen. Sie betrachteten seinen braunen Hengst, der still und reglos hinter ihm stand, fast genau so mißtrauisch wie ihn selbst. Ein Schlachtroß war eine formidable Waffe, und sie konnten nicht wissen, daß Katzentänzer erst halb ausgebildet war.
Um sie herum wurde Platz geschaffen, als Leute, die das Tor bereits hinter sich hatten, erst ein Stück weiter liefen, bevor sie sich umdrehten, während die auf der Brücke zurückdrängten. Aus beiden Richtungen wurden Rufe von Leuten laut, die wissen wollten, was den Verkehr aufhielt. Bukama schenkte all dem keine Beachtung, sondern konzentrierte sich auf den Jungen mit dem roten Gesicht. Er hatte die Zügel des Lastpferds und seines Rotschimmelwallachs nicht losgelassen.
Ein Offizier kam aus dem gemauerten Wachlokal im Inneren der Stadtmauer; er trug den Geweihhelm unter dem Arm, hatte aber eine Hand im stahlverstärkten Handschuh auf dem Schwertgriff liegen. Alin Seroku, ein rauhbeiniger, graumelierter Mann mit weißen Narben im Gesicht, hatte vierzig Jahre lang Dienst als Soldat am Rande der Großen Fäule getan, und dennoch wurden seine Augen groß, als er Lan sah. Offenbar hatte auch er die Geschichten über Lans Tod gehört.
»Möge das Licht auf Euch scheinen, Lord Mandragoran. Der Sohn von el´Leanna und al´Akir, gesegnet sei ihr Andenken, ist stets willkommen.« Serokus Augen wandten sich flackernd Bukama zu, der nicht willkommen war. Er stellte sich breitbeinig mitten in das Tor. Auf jeder Seite hätten gut und gern fünf Pferde durchgepaßt, aber er wollte als Barriere fungieren, und das gelang ihm. Keiner der Wachsoldaten machte eine Regung, aber alle hatten die Hand am Schwertgriff. Alle Männer, außer dem Jungen, erwiderten Bukamas finstere Blicke. »Lord Marcasiev hat uns befohlen, unbedingt Frieden zu wahren«, fuhr Seroku fort; es klang halb wie eine Entschuldigung. Aber nur halb. »Es herrscht Nervosität in der Stadt. Die Geschichten über einen Mann, der kanalisiert, sind schlimm genug, aber im vergangenen Monat sind auf offener
Weitere Kostenlose Bücher