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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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auszuruhen, aber es schien eine lange Zeit zu vergehen, bis die Einladung von Prinz Brys kam, die von der Shatayan überbracht wurde. Sie war eine stattliche, ergraute Frau mit einem Aussehen, das jeder Königin zur Ehre gereicht hätte; sämtliche Bedienstete des Palastes unterstanden ihrer Aufsicht, und es war eine Ehre, von ihr persönlich begleitet zu werden. Außenstehende brauchten eine Führung, um sich in dem Palast zurechtzufinden. Sein Schwert blieb auf dem lackierten Regal neben der Tür. Es mitzunehmen würde ihm nichts nützen und außerdem Brys brüskieren, weil es ein Zeichen dafür war, daß Lan glaubte, er müsse selbst für seinen Schutz sorgen.
    Er erwartete zuerst ein Treffen unter vier Augen, aber die Shatayan führte ihn in eine Säulenhalle voller Menschen. Leichtfüßige Diener schritten durch die Menge und boten Kandori-Lords und Ladies in Seidengewändern mit den gestickten Wappen ihrer Häuser und Leuten in feinen Wollsachen mit den Emblemen der bedeutendsten Gilden Gewürzwein an. Und auch anderen. Lan sah Männer das Hadori tragen, die es seines Wissens seit mindestens zehn Jahren nicht mehr getragen hatten. Frauen mit auf Schulterlänge oder noch kürzer geschnittenen Haaren hatten sich das kleine Pünktchen des Ki´sain auf die Stirn gemalt. Sie verbeugten sich, als er eintrat, und machten tiefe Knickse, diese Männer und Frauen, die beschlossen hatten, sich an Malkier zu erinnern.
    Prinz Brys war ein untersetzter, grobschlächtiger Mann in mittleren Jahren, dem eine Rüstung angemessener zu sein schien als grüne Seide, aber in Wahrheit war er an beides gewöhnt. Brys war Ethenielles Schwertträger, der General ihrer Armeen und ihr Gemahl. Er hielt Lan an den Schultern fest und ließ nicht zu, daß dieser sich verbeugte.
    »Das dulde ich nicht bei einem Mann, der mir in der Großen Fäule zweimal das Leben gerettet hat, Lan.« Brys lachte. »Außerdem scheint durch deine Ankunft etwas von deinem Glück auf Diryk abgefärbt zu haben. Er ist heute morgen von einem Balkon gestürzt, volle fünfzehn Meter, ohne sich einen Knochen zu brechen.« Er winkte seinen zweiten Sohn herbei, einen hübschen, dunkeläugigen Achtjährigen in einem Mantel, wie sein Vater ihn trug. Der Junge hatte einen großen Bluterguß seitlich am Kopf und schien, seinen steifen Bewegungen nach zu urteilen, auch andernorts Schwellungen zu haben, machte aber eine förmliche Verbeugung, die lediglich durch sein breites Grinsen verdorben wurde. »Er sollte eigentlich im Unterricht sein«, ließ Brys Lan wissen, »aber er war so erpicht darauf, dich zu sehen, daß er vergessen hätte, was er gelernt hat, und sich an einem Schwert geschnitten hätte.« Der Junge protestierte stirnrunzelnd, daß er sich niemals schneiden würde.
    Lan erwiderte die Verbeugung des Jungen genauso förmlich, und dann mußte er eine Sturzflut von Fragen über sich ergehen lassen. Ja, er hatte gegen die Aiel gekämpft, im Süden und in den Marschen von Schienar, aber sie waren nur Menschen, wenn auch gefährlich, und keine drei Meter groß; sie verschleierten die Gesichter, bevor sie töteten, aber sie verspeisten ihre Toten nicht. Nein, die weiße Burg war nicht so hoch wie ein Berg, wenn auch höher als jedes andere Bauwerk von Menschenhand, das Lan je gesehen hatte, einschließlich des Steins von Tear. Hätte man ihn gelassen, der Junge hätte ihm ein Loch in den Bauch gefragt, was die Aiel und die Wunder der großen Städte im Süden betraf, Tar Valon und Far Madding zum Beispiel. Wahrscheinlich hätte er nicht geglaubt, daß Chachin auch so groß wie jene Städte war.
    »Lord Mandragoran wird dir später alles erzählen, was dein Herz begehrt«, sagte Brys dem Jungen. »Zunächst aber muß er jemand anders sehen. Fort mit dir, zu Frau Tuval und deinen Büchern!«
    Edeyn sah genauso aus, wie Lan sie in Erinnerung hatte. Oh, zehn Jahre älter, mit weißen Strähnen an den Schläfen und einigen Fältchen in den Augenwinkeln, aber diese großen, dunklen Augen zogen ihn immer noch in ihren Bann. Ihr Ki´sain hatte immer noch die weiße Farbe einer Witwe, und das Haar reichte ihr immer noch in dunklen Locken bis über die Taille. Sie trug ein rotes Seidenkleid nach Art der Domani, eng anliegend und hauchdünn. Sie war wunderschön, aber nicht einmal sie konnte hier etwas tun.
    Einen Augenblick sah sie ihn nur kühl und berechnend an, als er seine Verbeugung machte. »Es wäre . . . einfacher gewesen, wenn du zu mir gekommen wärst«, murmelte sie

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