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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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fühlte sich weich und geschmeidig an; sie mußte es jeden Tag mit Pflegemitteln haben einreiben lassen.
    Er ging langsam zu ihr, kniete vor ihr nieder und hielt ihr den zwischen seinen Händen ausgestreckten Daori hin. »Als Zeichen dafür, was ich dir schulde, Edeyn, immer und ewig.« Sie hatte sicher Verständnis dafür, daß seine Stimme nicht mehr von der Inbrunst jenes ersten Morgens erfüllt war.
    Sie nahm das Band nicht. Statt dessen sah sie ihn an. »Ich wußte, daß du nicht so lange weg warst, um unsere Bräuche zu vergessen«, sagte sie schließlich. »Komm.«
    Sie stand auf, nahm ihn am Handgelenk und zog ihn zum Fenster, wo man Ausblick auf den drei Meter tiefer gelegenen Garten hatte. Zwei Diener wässerten ihn mit Eimern, und eine junge Frau schlenderte in einem blauen Kleid, so leuchtend wie die ersten Frühlingsblumen unter den Bäumen, auf einem Weg aus Schieferplatten dahin.
    »Meine Tochter Iselle.« Einen Augenblick lang wärmten Stolz und Zuneigung Edeyns Stimme. »Erinnerst du dich an sie? Sie ist jetzt siebzehn. Sie hat ihren Carneira noch nicht gewählt« -junge Männer wurden von ihrer Carneira ausgewählt, junge Frauen wählten ihre aus -, »aber ich glaube, es ist ohnehin Zeit, daß sie heiratet.«
    Er erinnerte sich dunkel an ein Kind, das ständig Diener herumscheuchte, der Augenstern ihrer Mutter, aber damals hatte er nur Edeyn im Kopf gehabt. »Sie ist so schön wie ihre Mutter, da bin ich sicher«, sagte er höflich. Er drehte den Daori in den Händen. Solange er das Band hielt, war ihre Überlegenheit zu groß, viel zu groß, aber sie mußte es ihm abnehmen. »Edeyn, wir müssen miteinander reden.« Sie ging nicht darauf ein.
    »Es wird auch Zeit, daß du heiratest, Süßer. Da von deinen weiblichen Verwandten niemand mehr am Leben ist, liegt es an mir, eine Hochzeit zu arrangieren.«
    Er stöhnte bei dem Gedanken daran, was sie vorzuschlagen schien. Zuerst konnte er es nicht glauben. »Iselle?« sagte er heiser. »Deine Tochter?« Sie mochte das Brauchtum auf ihre Art auslegen, aber das war skandalös. »Ich werde mich nicht in etwas so Schändliches hineinziehen lassen, Edeyn. Weder durch dich noch durch das hier.« Er schüttelte den Daori vor ihr, aber sie sah ihn nur an und lächelte.
    »Natürlich läßt du dich nicht hineinziehen, Süßer. Du bist ein Mann, kein Knabe. Aber du ehrst das Brauchtum«, sagte sie nachdenklich und strich mit einem Finger über das Band aus Haaren, das zwischen seinen Händen zitterte. »Vielleicht müssen wir doch miteinander reden.«
    Aber sie führte ihn zum Bett.
     
    Moiraine verbrachte fast den ganzen Tag damit, in den Gasthäusern der verrufeneren Viertel von Chachin, wo ihr Seidenkleid und die geteilten Röcke die Blicke von Wirten und Gästen gleichermaßen auf sich zogen, diskrete Erkundigungen einzuziehen. Ein Bursche mit ledriger Haut und einem dauerhaften Schielen sagte ihr, daß sein Schuppen nichts für sie sei und erbot sich, sie zu einem besseren zu begleiten; eine Frau mit rundlichem Gesicht und verkniffenen Augen keifte, daß die Abendgäste eine zarte Schönheit wie sie zum Abendessen verspeisen würden, wenn sie sich nicht schleunigst trollen würde; und ein väterlicher alter Mann mit rosigen Wangen und einem fröhlichen Lächeln konnte es kaum erwarten, daß sie den gewürzten Wein trank, den er zubereitet hatte, ohne daß sie ihn dabei hätte beobachten können. Ihr blieb nichts anderes übrig, als die Zähne zusammenzubeißen und weiterzusuchen. In solchen Kaschemmen war Siuan gern abgestiegen, wenn ihnen als Angenommene einer der seltenen Ausflüge nach Tar Valon gestattet worden war, billige Schuppen, wo mit größter Wahrscheinlichkeit keine Schwestern anzutreffen sein würden - aber in keiner war eine blauäugige Tairen gleich welchen Namens abgestiegen. Das kalte Tageslicht wich allmählich einer weiteren eisigen Nacht.
    Sie dirigierte Pfeil durch die langen Schatten, studierte argwöhnisch das Dunkel, das sich verdächtig in den Gassen bewegte, und dachte schon, daß sie für heute aufgeben müßte, als Siuan ihr von hinten nachgeeilt kam.
    »Ich dachte mir schon, daß du nach deiner Ankunft hier suchen würdest«, sagte Siuan, nahm ihren Ellbogen und führte sie hastig fort. »Gehen wir rein, bevor wir erfrieren.« Auch sie betrachtete die Schatten in den Gassen und fingerte geistesabwesend an ihrem Messer im Gürtel herum, als könnten sie, wenn sie die Macht zu Hilfe nähmen, nicht mit zehn von ihnen fertig werden.

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