Der siebte Schrein
Nun ja, nicht ohne sich zu erkennen zu geben. Vielleicht war es das beste, rasch weiterzugehen. »Dies ist keine Gegend für dich, Moiraine. Es gibt Kerle hier, die würden dich zum Abendessen verspeisen, ehe du überhaupt merkst, daß du im Kochtopf bist. Lachst du, oder würgst du?«
Wie sich herausstellte, wohnte Siuan in einem angesehenen Gasthaus namens Zum Abendstern, wo Kaufleute mittleren Ranges verkehrten, besonders Frauen, die sich nicht durch Lärm oder Rüpel im Schankraum stören lassen wollten. Zwei Burschen mit ochsenbreiten Schultern sorgten dafür, daß so etwas nicht passierte. Siuans Zimmer war gemütlich und warm, wenn auch nicht groß, und die Wirtin, eine schlanke Frau, die den Eindruck machte, als würde sie sich nichts gefallen lassen, hatte nichts dagegen, daß Moiraine bei Siuan abstieg. Solange für die zweite Person bezahlt wurde.
Während Moiraine ihren Mantel an einem Haken aufhängte, setzte sich Siuan mit übereinandergeschlagenen Beinen auf ein nicht allzu breites Bett. Seit Canluum schienen ihre Lebensgeister zurückgekehrt zu sein. Siuan schien stets vor Begeisterung überzuschäumen, wenn sie ein Ziel vor Augen hatte. »Ich kann dir sagen, Moiraine, ich habe etwas hinter mir. Dieses dumme Pferd hätte mich auf dem Weg hierher fast umgebracht. Der Schöpfer hat die Menschen geschaffen, damit sie laufen oder mit dem Boot fahren, und nicht, damit sie durchgeschüttelt werden. Ich nehme an, diese Sahera war nicht die Richtige, sonst würdest du jetzt herumzappeln wie ein laichender Rotschwanz. Ich habe Ines Demain fast auf der Stelle gefunden, aber ich kann nicht zu ihr. Sie ist gerade zur Witwe geworden, hat aber einen Sohn. Hat ihn Rahien getauft, weil sie die Dämmerung über dem Drachenberg gesehen hat. Stadtgespräch. Jeder denkt, es sei ein alberner Grund, ein Kind zu taufen.«
»Avene Saheras Sohn wurde eine Woche zu früh und dreißig Meilen vom Drachenberg entfernt geboren«, sagte Moiraine, als Siuan eine kurze Pause machte, um Luft zu holen. Sie bezwang einen Schauer der Erregung. Daß die Frau die Dämmerung über dem Drachenberg gesehen hatte, bedeutete nicht, daß das Kind dort geboren worden war. Es gab keinen Stuhl und keinen Hocker, keinen Platz dafür, daher nahm sie am Fußende des Betts Platz. »Wenn du Ines und ihren Sohn gefunden hast, Siuan, warum kannst du nicht zu ihnen?« Die Lady Ines, stellte sich heraus, hielt sich im Palast von Aesdaishar auf, wo sich Siuan als Aes Sedai mühelos Zutritt verschaffen konnte, sonst aber nur, wenn der Palast Dienerinnen eingestellt hätte.
Der Palast von Aesdaishar. »Darum werden wir uns morgen früh kümmern«, sagte Moiraine seufzend. Es bedeutete ein Risiko, aber die Lady Ines mußte befragt werden. Keine der Frauen, die Moiraine bis jetzt gefunden hatte, war in der Lage gewesen, den Drachenberg zu sehen, als ihr Kind zur Welt kam. »Hast du eine Spur der . . . der Schwarzen Ajah gesehen?« Sie mußte sich daran gewöhnen, den Namen auszusprechen.
Statt sofort zu antworten, sah Siuan stirnrunzelnd in den Schoß und machte sich an ihrem Rocksaum zu schaffen. »Dies ist eine seltsame Stadt, Moiraine«, sagte sie schließlich. »Lampen auf den Straßen und Frauen, die Duelle austragen, auch wenn sie es bestreiten, und mehr Klatsch und Tratsch, als zehn Männer voll Bier von sich geben könnten. Manches davon ganz interessant.« Sie beugte sich vor und legte Moiraine eine Hand auf das Knie. »Alle reden über einen jungen Schmied, der vor zwei Nächten starb, weil ihm der Rücken gebrochen wurde. Niemand hatte viel von ihm erwartet, aber im Lauf des vergangenen Monats wurde er zu einem regelrechten Volksredner. Hat seine Gilde überzeugt, Geld für die Armen aufzubringen, die aus Angst vor Banditen in die Stadt gekommen sind, Leute, die weder einer Gilde noch einem Haus angehören.«
»Siuan, was beim Licht . . .«
»Hör einfach zu, Moiraine! Er hat selbst eine Menge Silber gesammelt, und es sieht so aus, als wäre er auf dem Weg zum Gildenhaus gewesen, um sechs oder acht Säcke davon abzuliefern, als er getötet wurde. Der Narr hatte alles bei sich. Aber das Erstaunliche ist - nicht eine einzige verdammte Münze hat gefehlt, Moiraine. Und er hatte keine einzige Verletzung, abgesehen von seinem gebrochenen Rücken.«
Sie sahen einander lange an; dann schüttelte Moiraine den Kopf. »Ich verstehe nicht, wie wir das mit Meilyn oder Tamra in Verbindung bringen sollen. Ein Schmied? Siuan, wir können den Verstand
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