Der siebte Schrein
verdammt noch mal zuhören will! Wenn Merean herausfindet, daß du sie beobachten läßt . . . Verbrenne mich!«
»Er mag in vielfacher Hinsicht ein Narr sein, Siuan, aber ich glaube nicht, daß er sich jemals das ›Maul zerreißt‹. Außerdem, ›du kannst nicht gewinnen, wenn du keine Kupfermünze riskieren willst‹, wie dein Vater zu sagen pflegte. Wir haben keine andere Wahl, als Risiken einzugehen. Nachdem Merean hier ist, könnte die Zeit knapp werden. Du mußt so schnell wie möglich an Lady Ines herankommen.«
»Ich tue, was ich kann«, murmelte Siuan, stapfte hinaus und reckte die Schultern wie zum Kampf. Aber auch sie strich den Rock an den Hüften glatt.
Die Nacht war längst hereingebrochen, und Moiraine versuchte, im Lampenschein zu lesen, als Siuan zurückkehrte. Moiraine legte ihr Buch weg; sie starrte schon seit einer Stunde ein und dieselbe Seite an. Diesmal hatte Siuan Neuigkeiten, die sie ihr mitteilte, während sie die Kleider und Unterkleider durchwühlte, die Frau Dorelmin genäht hatte.
Zunächst einmal hatte sie auf dem Rückweg zu Moiraines Gemächern »ein knorpeliger alter Storch« angesprochen, der sie fragte, ob sie Suki sei, und sie danach wissen ließ, daß Merean fast den ganzen Tag mit Prinz Brys verbracht habe, bevor sie sich für die Nacht in ihre Unterkunft zurückzog. Das bot keinerlei Hinweis. Wichtiger war, daß Siuan Rahien in einer beiläufigen Unterhaltung mit Cal zur Sprache hatte bringen können. Der Lakai war nicht bei Lady Ines gewesen, als der Junge zur Welt gekommen war, aber er wußte, an welchem Tag; am Tag davor nämlich hatten die Aiel ihren Rückzug aus Tar Valon begonnen. Moiraine und Siuan sahen sich daraufhin lange an. Am Tag davor hatte Gitara Moroso die Wiedergeburt des Drachen prophezeit und war bei dem Schock tot umgefallen. Dämmerung über dem Berg, und zehn Tage vor einem plötzlichen Tauwetter geboren, das die Schneeschmelze brachte. Gitara hatte besonderen Wert auf den Schnee gelegt.
»Jedenfalls«, fuhr Siuan fort und fing an, Kleidungsstücke und Strümpfe zu bündeln, »habe ich Cal davon überzeugt, daß du mich entlassen hast, weil ich dir Wein auf dein Kleid geschüttet habe, und er hat mir ein Bett bei der Dienerschaft der Lady Ines angeboten. Er denkt, er kann mir eine Stelle bei seiner Herrin verschaffen.« Sie schnaubte amüsiert, dann bemerkte sie Moiraines Blick und schnaubte noch einmal, rauher. »Es ist nicht sein verdammtes Bett, Moiraine! Und selbst wenn, er ist sanftmütig und hat die hübschesten braunen Augen, die du dir vorstellen kannst. Eines Tages wirst auch du bereit sein, mehr zu tun, als nur von einem Mann zu träumen, und ich hoffe, daß ich dann dabei bin und es miterleben kann!«
»Red keinen Unsinn«, sagte Moiraine zu ihr. Die Aufgabe, die vor ihnen lag, war zu wichtig, um Gedanken an Männer zu verschwenden. Jedenfalls in dem Sinne, wie Siuan es meinte. Merean hatte den ganzen Tag mit Brys verbracht? Ohne sich Lady Ines zu nähern? Ob sie nun eine von Tamras Auserkorenen oder eine Schwarze Ajah war, das ergab keinen Sinn, und es war einfach nicht plausibel anzunehmen, daß Merean weder das eine noch andere war. Sie übersah etwas, und das machte ihr Kopfzerbrechen. Was sie nicht wußte, konnte ihr Tod sein. Schlimmer, es konnte der Tod für den Wiedergeborenen Drachen in seiner Wiege sein.
Lan lief allein durch die Flure des Aesdaishar, nutzte sämtliche Fähigkeiten, die er in der Großen Fäule gelernt hatte, wich den Blicken der Entgegenkommenden aus. Seine eigenen Dienerinnen stellten Edeyns Anweisungen über seine, als glaubten sie, daß das eine Eigenheit der Malkieri wäre. Vielleicht hatte sie ihnen gesagt, daß es so war. Er ging davon aus, daß jeder in Aesdaishar, der eine Livree trug, Edeyn verraten würde, wo er zu finden war. Er glaubte, daß er im Augenblick wußte, wo er sich befand. Trotz früherer Besuche hatte er sich ohne Führung zweimal verlaufen. Er kam sich wie ein Narr vor, weil er sein Schwert trug. Stahl nützte in dieser Schlacht nichts.
Eine rasche Bewegung, und er drückte sich hinter der Statue einer in Wolken gekleideten Frau mit Armen voller Blumen flach an die Wand. Gerade noch rechtzeitig. Zwei Frauen kamen aus dem Querflur vor ihm und blieben in ein Gespräch vertieft stehen. Iselle und die Aes Sedai Merean. Er blieb so reglos wie der Stein, hinter dem er sich versteckte.
Es gefiel ihm nicht, herumzuschleichen, aber während Edeyn den Knoten in seinem Daori löste, mit
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