Der siebte Schrein
würde in einer Welt wiedergeboren werden, wo der Goldene Kranich im Wind flog, die Sieben Türme nicht zerstört waren und die Tausend Seen wie ein Diadem unter der Sonne funkelten. Wie hatte er jemanden so nahe an sich herankommen lassen können, daß er das tun konnte? Bukama konnte es fühlen, wenn in seiner Nähe Stahl gezückt wurde. Nur eines stand fest. Bukama war tot, weil Lan ihn in die Ränke einer Aes Sedai hineingezogen hatte.
Lan stand auf und lief. Aber nicht vor jemandem weg. Zu jemandem hin. Und es war ihm gleichgültig, wer ihn sah.
Als Moiraine das gedämpfte Krachen der Tür im Vorzimmer und die erbosten Schreie der Dienerin hörte, sprang sie aus dem Sessel, wo sie gewartet hatte. Auf alles, nur das nicht. Sie umarmte Saidar und ging durch das Wohnzimmer, aber bevor sie es schaffte, wurde die Tür aufgerissen. Lan schüttelte die Frauen in Livree ab, die sich an seinen Armen festklammerten, schlug ihnen die Tür vor der Nase zu, stemmte sich mit dem Rücken dagegen und hielt Moiraines verblüfftem Blick stand. Purpurne Blutergüsse verunstalteten sein Gesicht, und er bewegte sich, als wäre er geschlagen worden. Draußen herrschte Stille. Was immer er vorhatte, es war sicher, daß Moiraine damit fertig werden würde.
Sie stellte fest, daß sie absurderweise nach ihrem Messer am Gürtel griff. Mit der Macht konnte sie ihn einwickeln wie ein Kind, so groß er auch sein mochte, und doch . . . Er sah sie nicht finster an. In seinen Augen loderte ganz sicher kein Feuer. Sie wollte zurückweichen. Kein Feuer, sondern der eiskalte Tod. Der schwarze Mantel mit seinen grausamen Dornen und leuchtend goldenen Blüten paßte ihm.
»Bukama ist tot, er hat ein Messer im Herzen«, sagte er ruhig, »und es ist keine Stunde her, da hat jemand versucht, mich mit der Einen Macht zu töten. Zuerst dachte ich, es müßte Merean sein, aber als ich sie zuletzt gesehen habe, folgte sie Iselle, und sie hatte nicht genug Zeit, es sei denn, sie hat mich gesehen und wollte mich in Sicherheit wiegen. Nur wenige sehen mich, wenn ich nicht gesehen werden will, und ich glaube nicht, daß sie mich gesehen hat. Bleibt nur noch Ihr.«
Moiraine zuckte zusammen, aber nur teilweise wegen der Gewißheit in seiner Stimme. Sie hätte wissen müssen, daß das dumme Mädchen schnurstracks zu Merean gehen würde. »Ihr wärt überrascht, wie wenig einer Schwester entgeht«, sagte sie zu ihm. Besonders, wenn die Schwester von Saidar durchdrungen war. »Vielleicht hätte ich Bukama nicht bitten sollen, Merean zu beobachten. Sie ist sehr gefährlich.« Sie war eine Schwarze Ajah; Moiraine war sich dessen jetzt sicher. Schwestern mochten schmerzhafte Exempel an Leuten statuieren, die sie beim Herumschnüffeln erwischten, aber sie töteten sie nicht. Aber was sollte sie ihretwegen unternehmen? Ihre Gewißheit reichte als Beweis nicht aus und würde vor der Amyrlin gewiß nicht standhalten. Und wenn Sierin selbst eine Schwarze war . . . Aber im Augenblick konnte sie sich darüber keine Gedanken machen. Wieso verschwendete die Frau überhaupt ihre Zeit mit Iselle? »Wenn Euch etwas an dem Mädchen liegt, solltet Ihr sie so schnell wie möglich finden und von Merean fernhalten.«
Lan grunzte. »Alle Aes Sedai sind gefährlich. Iselle ist im Augenblick hinreichend sicher; ich habe sie auf dem Weg hierher gesehen, sie ist mit Brys und Diryk irgendwo hingelaufen. Warum mußte Bukama sterben, Aes Sedai? In was habe ich ihn Euretwegen hineingezogen?«
Moiraine hob eine Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen, und ein winziger Teil von ihr war überrascht, als er gehorchte. Der Rest von ihr dachte angestrengt nach. Merean mit Iselle. Iselle mit Brys und Diryk. Merean hatte versucht, Lan zu töten. Plötzlich sah sie das Muster in jeder Einzelheit perfekt; es ergab keinen Sinn, aber sie hatte keine Zweifel, daß es stimmte. »Diryk hat mir gesagt, daß Ihr der Mensch mit dem meisten Glück auf der Welt seid«, sagte sie und beugte sich eifrig zu Lan vor, »und ich hoffe für ihn, daß er recht hatte. Wohin würde Brys gehen, wenn er vollkommene Abgeschiedenheit möchte? Irgendwo, wo er weder gesehen noch gehört werden kann?« Es mußte ein Ort sein, wo er sich wohl fühlte, aber völlig isoliert war.
»Es gibt einen Rundgang auf der Westseite des Palasts«, sagte Lan langsam; dann überschlug sich seine Stimme. »Wenn Brys Gefahr droht, muß ich die Wachen alarmieren.« Er hatte sich bereits umgedreht und eine Hand auf dem Türgriff
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