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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Blickkontakt.
    Und wenn eine Hexe, besonders eine vergleichsweise unbekannte, in der Arena war, fanden alle anderen eine Ausrede, um sie im Auge zu behalten, nach Möglichkeit ohne den Anschein zu erwecken, als wäre es so.
    Es war tatsächlich so, als würde man Katzen zusehen. Katzen verbringen eine Menge Zeit damit, einander argwöhnisch zu beobachten. Wenn sie kämpfen müssen, dann nur um etwas klarzustellen, das in ihren Köpfen längst zur Gewißheit geworden ist.
    Das alles wußte Nanny. Und sie wußte auch, daß die meisten Hexen gütig waren (im allgemeinen), sanft (zu den Schwachen), großzügig (zu den Bedürftigen; wer nicht bedürftig war, bekam mehr, als er eigentlich erwartet hatte) und ganz generell einem Leben verschworen, das wirklich mehr Tritte als Küsse bereithielt. Keine einzige wohnte in einem Lebkuchenhaus, allerdings hatten einige der gewissenhafteren Jüngeren mit verschiedenen knusprigen Brotsorten experimentiert. Nicht einmal Kinder, die es verdient hätten, wurden in ihre Öfen geschubst. Im großen und ganzen machten sie, was sie immer gemacht hatten - sie ebneten ihren Nachbarn den Weg in die Welt hinein und aus ihr heraus und halfen ihnen über einige der häßlicheren Hindernisse hinweg, die dazwischen lagen.
    Man mußte eine besondere Person sein, um das zu tun. Man brauchte ein besonderes Ohr, weil man den Leuten in Situationen begegnete, in denen sie geneigt waren, einem Dinge zu sagen wie: wo das Geld vergraben war, wer der Vater war oder warum sie schon wieder ein blaues Auge hatten. Und man brauchte einen besonderen Mund, von der Art nämlich, die geschlossen bleibt. Es machte einen mächtig, Geheimnisse zu bewahren. Mächtig zu sein, brachte einem Respekt ein. Respekt war eine harte Währung.
    Und innerhalb dieser Schwesternschaft - nur war es keine Schwesternschaft, es war eine lockere Gemeinschaft chronischer Einzelgänger; eine Gruppe Hexen bildete keine Hexenversammlung, sondern einen kleinen Krieg - war man sich stets seiner Position bewußt. Das hatte nichts mit dem zu tun, was der Rest der Welt als Status betrachtete. Nichts wurde je gesagt. Aber wenn eine alte Hexe starb, kamen die Hexen aus dem Umland zu ihrer Beerdigung, um ein paar letzte Worte zu sprechen, und danach gingen sie feierlich und allein nach Hause und hatten nur einen kleinen, beharrlichen Gedanken im Hinterkopf: Ich bin eine Stufe raufgerutscht.
    Und Neuankömmlinge wurden sehr, sehr genau beobachtet.
    »Morgen, Frau Ogg«, sagte eine Stimme hinter ihr. »Ich hoffe, Sie erfreuen sich bester Gesundheit?«
    »Wie geht es Ihnen, Frau Schimmy«, sagte Nanny und drehte sich um. Ihr geistiges Ablagesystem warf eine Karte aus: Klärchen Schimmy, lebt mit ihrer alten Mutter drüben bei Schattenschnitt, nimmt Schnupftabak, kann gut mit Tieren umgehen. »Wie geht´s Ihrer Mutter?«
    »Wir haben sie letzten Monat begraben, Frau Ogg.«
    Nanny Ogg mochte Klärchen, weil sie sie nicht sehr oft sah.
    »Ach . . .«, sagte sie.
    »Aber ich werde ihr trotzdem sagen, daß Sie nach ihr gefragt haben«, sagte Klärchen. Sie sah kurz zum Ring.
    »Wer ist das dicke Mädchen, das gerade dran ist?« fragte sie. »Die hat ja einen Hintern wie eine Bowlingkugel auf einer kurzen Wippe.«
    »Das ist Agnes Nitt.«
    »Eine ausgezeichnete Fluchstimme hat sie. Bei so einer Stimme weiß man, daß man verflucht worden ist.«
    »O ja, sie ist mit einer guten Stimme zum Fluchen gesegnet«, sagte Nanny höflich. »Esme Wetterwachs und ich haben ihr ein paar Tips gegeben«, fügte sie hinzu.
    Klärchen drehte den Kopf.
    Am anderen Ende des Felds saß eine kleine rosa Gestalt allein hinter der Glückswanne. Sie schien kein großes Publikum anzuziehen.
    Klärchen beugte sich näher.
    »Was . . . ähem . . . macht sie?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Nanny. »Ich glaube, sie hat beschlossen, es mit Fassung zu tragen und nett zu sein.«
    »Esme? Nett?«
    »Ähem . . . ja«, sagte Nanny. Jetzt, wo sie es jemandem sagte, hörte es sich auch nicht überzeugender an.
    Klärchen starrte sie an. Nanny sah, wie sie mit der linken Hand ein kurzes Zeichen machte und sich entfernte.
    Die spitzen Hüte drängten sich mittlerweile umeinander. Sie standen in kleinen Dreier- und Vierergruppen beisammen. Man konnte sehen, wie sich die Spitzen zueinander neigten, wenn lebhafte Unterhaltungen geführt wurden, sich wieder öffneten wie Blüten und dem fernen rosa Klecks zuwandten. Danach scherte ein Hut aus der Gruppe aus und näherte sich zielstrebig einer

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