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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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nichts auf der Welt würde ich das verpassen.«
     
    Nanny stand besonders früh auf. Wenn es zu unangenehmen Zwischenfällen kommen sollte, wollte sie einen Logenplatz haben.
    Zuerst fielen ihr die Wimpel auf. Als Nanny zum Wettstreit ging, sah sie sie in schrecklich bunten Girlanden von Baum zu Baum hängen.
    Und sie hatten etwas seltsam Vertrautes. Man sollte meinen, für jemanden mit einer Schere wäre es rein technisch unmöglich, kein einziges Dreieck ausschneiden zu können, aber jemand hatte es geschafft. Und es war auch deutlich zu sehen daß die Wimpel aus alten, fein säuberlich zerschnittenen Kleidungsstücken gemacht waren. Nanny wußte das, weil nicht viele normale Wimpel einen Kragen haben.
    Auf dem Feld, wo der Wettstreit stattfand, stellten Leute Stände auf und fielen über Kinder. Die Mitglieder des Komitees standen unsicher unter einem Baum und sahen mitunter unsicher zu einer rosa Gestalt ganz oben auf einer hohen Leiter auf.
    »Sie war schon hier, bevor es hell wurde«, sagte Lätizia, als Nanny näher kam. »Sie sagt, sie ist die ganze Nacht wach gewesen und hat ihre Wimpel gemacht.«
    »Erzähl ihr von den Kuchen«, sagte Gammer Beavis finster.
    »Sie hat Kuchen gemacht?« fragte Nanny. »Aber sie kann nicht backen!«
    Das Komitee schlurfte auseinander. Viele der Damen steuerten etwas zu essen für den Wettstreit bei. Es war eine Tradition und ein eigenständiger, zwangloser Wettbewerb. Im Mittelpunkt der Reihe abgedeckter Teller stand eine große Platte, auf der sich . . . etwas türmte, etwas von unbestimmbarer Farbe und Form. Es sah aus, als hätte eine Herde kleiner Kühe jede Menge Rosinen gefuttert und dann Durchfall bekommen. Es waren Ur-Kuchen, prähistorische Kuchen, Kuchen mit großem Gewicht und immenser Präsenz, die nichts zwischen den anderen Zuckergußmemmen verloren hatten.
    »Sie hatte nie eine Begabung dafür«, sagte Nanny kläglich. »Hat jemand einen probiert?«
    »Hahaha«, sagte Gammer ernst.
    »Hart, was?«
    »Man könnte einen Troll damit totschlagen.«
    »Aber sie war so . . . irgendwie . . . stolz darauf«, sagte Lätizia. »Und dann ist da . . . die Marmelade.«
    Es war ein großer Topf. Er schien mit erstarrter purpurner Lava gefüllt zu sein.
    »Hübsche . . . Farbe«, sagte Nanny. »Hat jemand gekostet?«
    »Wir kriegten den Löffel nicht mehr raus«, sagte Gammer.
    »Oh, ich bin sicher -«
    »Wir haben ihn nur mit dem Hammer reinbekommen.«
    »Was hat sie vor, Frau Ogg? Sie hat einen schwachen und rachsüchtigen Charakter«, sagte Lätizia. »Sie sind ihre Freundin«, fügte sie in einem Tonfall hinzu, der andeutete, daß dies gleichermaßen ein Vorwurf wie eine Feststellung war.
    »Ich weiß nicht, was in ihrem Kopf vorgeht, Frau Ohrwurm.«
    »Ich dachte, sie würde fernbleiben.«
    »Sie hat gesagt, sie wolle hilfreich zur Seite stehen und das Jungvolk ermutigen.«
    »Sie hat etwas vor«, sagte Lätizia finster. »Diese Kuchen sind ein Plan, meine Autorität zu untergraben.«
    »Nein, so kocht sie immer«, sagte Nanny. »Sie hat es einfach nicht drauf.« Deine Autorität, hm?
    »Sie ist mit den Wimpeln fast fertig«, vermeldete Gammer. »Jetzt wird sie versuchen, sich wieder nützlich zu machen.«
    »Nun . . . ich schätze, wir könnten sie bitten, das Glückstauchen zu übernehmen.«
    Nannys Blick war leer. »Sie meinen, wo die Kinder in einer großen Badewanne voll Kleie herumtasten, um zu sehen, was sie herausziehen können?«
    »Ja.«
    »Sie wollen Oma Wetterwachs das machen lassen?«
    »Ja.«
    »Sie hat aber einen merkwürdigen Sinn für Humor, wenn Sie wissen, was ich meine.«
    »Guten Morgen alle zusammen!«
    Es war die Stimme von Oma Wetterwachs. Nanny Ogg kannte sie fast ihr ganzes Leben. Aber nun hatte sie wieder diesen seltsamen Unterton. Sie klang nett.
    »Wir haben uns gefragt, ob Sie die Aufsicht bei der Kleiewanne übernehmen könnten, Fräulein Wetterwachs.«
    Nanny zuckte zusammen. Aber Oma sagte nur: »Mit Vergnügen, Frau Ohrwurm. Ich kann es kaum erwarten, ihre kleinen Gesichter zu sehen, wenn sie die feinen Sachen herausziehen.«
    Ich auch nicht, dachte Nanny.
    Als sich die anderen verzogen hatten, ging sie zu ihrer Freundin.
    »Warum machst du das?« fragte sie.
    »Ich weiß wirklich nicht, was du meinst, Gytha.«
    »Ich habe gesehen, wie du schreckliche Geschöpfe mit Blicken bezwungen hast, Esme. Einmal habe ich gesehen, wie du ein Einhorn gefangen hast, um Himmels willen. Was hast du vor?«
    »Ich weiß immer noch nicht, was du meinst,

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