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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Sie wußten ja nicht, wie sehr ihr Herz klopfte. Sie war dankbar für den Schutz der Nacht, der verhinderte, daß die D´Haraner sahen, wie sehr ihr die Knie zitterten. Sie hatte nur zwei echte Mord-Sith gesehen, die beide schliefen, und sich von ihnen ferngehalten, wie Zedd es ihr geraten hatte. Echte Mord-Sith ließen sich nicht so leicht täuschen.
    Zedd hatte ihr bis zum Morgengrauen Zeit gelassen. Aber die Zeit wurde knapp. Er hatte ihr gesagt, wenn sie nicht rechtzeitig zurück sei, würde sie sterben.
    Abby war dankbar, daß sie mit der Umgebung vertraut war, sonst hätte sie sich schon längst im Wirrwarr von Zelten, Lagerfeuern, Wagen, Pferden und Maultieren verirrt. Überall waren Speere und Lanzen in Kreisen aufgestellt, so daß die Spitzen aneinander lehnten. Männer - Hufschmiede, Pfeilmacher, Schmiede und Handwerker jedweder Art - arbeiteten die Nacht hindurch.
    Dichter Rauch erfüllte die Luft, und überall hallten die Geräusche von Metall wider, das geformt und geschärft wurde, und von Holz, das von Bogen bis hin zu Wagen zu allem bearbeitet wurde. Abby wußte nicht, wie Leute bei diesem Lärm schlafen konnten, aber sie schliefen.
    Bald würde das riesige Lager zu einem neuen Tag erwachen - einem Tag des Kampfes, einem Tag, an dem die Soldaten die Arbeit verrichten würden, die sie am besten beherrschten. Sie schliefen die Nacht hindurch, damit sie ausgeruht waren, um die Armee der Midlands abzuschlachten. Nach allem, was sie gehört hatte, verstanden die Soldaten von D´Hara etwas von ihrem Job.
    Abby hatte unablässig gesucht, doch es war ihr nicht möglich gewesen, ihren Vater, ihren Mann oder ihre Tochter zu finden. Aber aufgeben würde sie nicht. Sie hatte sich mit der Gewißheit abgefunden, daß sie mit ihnen sterben würde, falls sie sie nicht rechtzeitig fände.
    Sie hatte Gefangene gesehen, die aneinandergefesselt und an Bäumen oder am Boden festgebunden waren, damit sie nicht wegliefen. Viele waren angekettet. Manche kannte sie, aber viele nicht. Die meisten wurden in Gruppen und unter Bewachung gehalten.
    Abby sah nicht ein einziges Mal einen schlafenden Wachtposten. Wenn sie in ihre Richtung schauten, tat sie so, als suchte sie nach jemandem, dem sie das Leben schwermachen würde, wenn sie ihn gefunden hatte. Zedd hatte ihr gesagt, ihr Leben und das ihrer Familie hinge davon ab, daß sie ihre Rolle überzeugend spielte. Abby dachte daran, daß diese Menschen ihrer Tochter weh taten, und dann fiel es ihr nicht schwer, wütend auszusehen.
    Aber ihre Zeit wurde knapp. Sie konnte sie nicht finden und wußte, daß Zedd nicht warten würde. Zuviel stand auf dem Spiel; das war ihr jetzt klar. Sie hatte eingesehen, daß der Zauberer und die Mutter Konfessorin einen Krieg beenden wollten; daß ihnen die gräßliche Aufgabe zufiel, das Leben weniger gegen das Leben vieler abzuwägen.
    Abby hob eine weitere Zeltklappe und sah schlafende Soldaten. Sie ging in die Hocke und betrachtete die Gesichter von an einen Wagen gefesselten Gefangenen. Sie erwiderten ihre Blicke mit hohlen Augen. Sie bückte sich und studierte die Gesichter von in Alpträumen zusammengekuschelten Kindern. Sie konnte Jana nicht finden. Das riesige Lager erstreckte sich über das gesamte Hügelland; es gab tausend Stellen, wo sie stecken konnte.
    Als sie an einer schiefen Zeltreihe vorbeilief, kratzte sie sich am Handgelenk. Erst als sie weiterging, wurde ihr klar, daß der Armreif wärmer wurde und ihr Gelenk deshalb juckte. Sie machte ein paar Schritte, und er wurde noch wärmer, doch dann kühlte er wieder ab. Sie runzelte die Stirn. Aus Neugier machte sie kehrt und ging dorthin zurück, von wo sie gekommen war.
    An einem Pfad zwischen den Zelten kribbelte ihr Armreif wieder vor Wärme. Abby blieb einen Moment stehen und sah in die Dunkelheit. Der Himmel hellte sich gerade zaghaft auf. Sie nahm den Weg zwischen den Zelten hindurch und folgte ihm, bis der Armreif abkühlte, drehte um und schlug eine neue Richtung ein, wo der Reif noch wärmer wurde.
    Ihre Mutter hatte ihr den Armreif gegeben und gesagt, daß sie ihn immer tragen sollte, weil er ihr eines Tages nützlich sein würde. Abby fragte sich, ob der Reif irgendeine Magie besaß, die ihr helfen würde, ihre Tochter zu finden. Da der Tagesanbruch näherrückte, schien das ihre einzige Chance zu sein. Sie lief hastig weiter und folgte dem Weg, den die Wärme des Armreifs ihr wies.
    Der Reif führte sie zu einer Reihe schnarchender Soldaten. Gefangene waren keine zu sehen.

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