Der siebte Schrein
dachte mir, daß du doch nicht die Art von Mensch bist, der zu so etwas Schrecklichem fähig ist, und daß du dein wahres Herz zeigen würdest.« Er zog sie weg von den Schreien. »Wir haben dich benutzt. Sie sollten glauben, daß ihr Plan erfolgreich war.«
»Du hast gewußt, was ich vorhatte? Du hast gewußt, daß ich dich zu ihnen bringen wollte, damit sie dich gefangennehmen konnten?«
»Ich konnte es mir denken. Von Anfang an schien mehr an dir zu sein, als du preiszugeben bereit warst. Du bist nicht sehr begabt darin, eine Spionin und Verräterin zu sein. Seit wir hier eingetroffen sind, beobachtest du die Schatten und zuckst jedesmal zusammen, wenn ein Insekt zirpt.«
Die Mutter Konfessorin eilte herbei. »Zedd, alles in Ordnung?«
Er legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Das wird schon wieder.« In seinen Augen leuchtete noch das Entsetzen. »Danke, daß du nicht zu spät gekommen bist. Einen Moment fürchtete ich schon . . .«
»Ich weiß.« Die Mutter Konfessorin schenkte ihm ein rasches Lächeln. »Laß uns hoffen, daß sich dein Trick gelohnt hat. Du hast Zeit bis zur Dämmerung. Sie sagte, ihre Leute erwarten, daß sie dich die ganze Nacht foltert, ehe sie dich am Morgen zu ihnen bringt. Ihre Kundschafter haben Anargo informiert, daß unsere Truppen eingetroffen sind.«
Im Gebüsch schrie die Mord-Sith, als würde ihr bei lebendigem Leib die Haut abgezogen werden.
Ein Schauer lief durch Abbys Schultern. »Sie werden sie hören und wissen, was passiert ist.«
»Selbst wenn sie sie auf die Entfernung hören können, werden sie glauben, daß es Zedd ist, der von ihr gefoltert wird.« Die Mutter Konfessorin nahm Abby das Messer aus der Hand. »Ich bin froh, daß du mein Vertrauen in dich belohnt und dich entschieden hast, keine gemeinsame Sache mit ihnen zu machen.«
Abby wischte sich die Handflächen an ihren Röcken ab und schämte sich für alles, was sie getan hatte, was sie vorgehabt hatte zu tun. Sie fing an zu zittern. »Werdet Ihr sie töten?«
Die Mutter Konfessorin sah todmüde aus, nachdem sie die Mord-Sith berührt hatte, aber aus ihren Augen blickte nach wie vor eine eiserne Entschlossenheit. »Eine Mord-Sith ist anders als alle anderen. Sie erholt sich nicht von der Berührung einer Konfessorin. Sie würde bis zu ihrem Tod, irgendwann am frühen Morgen, schreckliche Qualen leiden.« Sie warf einen Blick in die Richtung, aus der die Schreie kamen. »Sie hat uns gesagt, was wir wissen müssen, und Zedd muß seine Macht zurückbekommen. Es ist ein Akt der Barmherzigkeit.«
»Außerdem verschafft es mir Zeit für das, was ich tun muß.« Zedd drehte Abbys Gesicht mit den Fingern zu sich herum, weg von den Schreien. »Und Zeit, Jana zurückzuholen. Du hast Zeit bis zum Morgen.«
»Ich habe Zeit bis zum Morgen? Was meinst du damit?«
»Ich werde es dir erklären. Aber wir müssen uns beeilen, wenn du genug Zeit haben willst. Und jetzt zieh dich aus.«
Abbys Zeit wurde knapp.
Sie war stocksteif und wie erstarrt durch das Lager der D´Haraner geschritten und hatte sich sehr bemüht, nicht zu Tode erschrocken auszusehen, obwohl sie sich genauso fühlte. Sie hatte die ganze Nacht lang die Anweisungen des Zauberers befolgt: sich hochmütig benommen. Jeden, dem sie auffiel, strafte sie mit Mißachtung. Jeden, der sie ansah und ansprechen wollte, knurrte sie böse an.
Aber natürlich waren es nicht allzu viele, die versuchten, die Aufmerksamkeit einer in rotes Leder gekleideten Mord-Sith auf sich zu lenken. Zedd hatte ihr auch geraten, die Waffe der Mord-Sith in der Hand zu behalten. Sie sah aus wie ein kleiner Stab aus rotem Leder. Abby hatte keine Ahnung, wie sie funktionierte - der Zauberer hatte nur gesagt, daß Magie im Spiel war und es Abby nicht möglich sein würde, die Waffe zu ihrer Unterstützung zu aktivieren -, aber die Wirkung auf alle, die sie in ihrer Hand sahen, blieb nicht aus: Sie verschwanden wieder in der Dunkelheit und mieden das Licht der Lagerfeuer, mieden Abby.
Jedenfalls diejenigen, die wach waren. Auch wenn die meisten Leute im Lager schliefen, herrschte kein Mangel an Wachtposten. Zedd hatte der Mord-Sith, die ihn angegriffen hatte, den langen Zopf abgeschnitten und an Abbys Haar befestigt. In der Dunkelheit fielen die verschiedenen Haarfarben nicht so sehr auf. Wenn die Wachtposten Abby ansahen und eine Mord-Sith erblickten, wandten sie die Blicke hastig wieder ab.
Den nervösen Mienen der Leute konnte Abby entnehmen, daß sie ein furchtbarer Anblick war.
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