Der siebte Schrein
»Aber ich muß. Ich konnte meine Familie nicht finden. Er muß mir helfen. Er muß sie retten! Es ist eine Knochenschuld, die beglichen werden muß.«
Die beiden Frauen wechselten einen Blick. »Abby«, sagte die Mutter Konfessorin, »er hat dir die Möglichkeit gegeben, hat dir Zeit gegeben. Er hat es versucht. Er hat sein Bestes getan, aber jetzt muß er an alle anderen denken.«
Die Mutter Konfessorin nahm Abbys Hand, und die Hexenmeisterin legte Abby einen Arm um die Schultern, während sie weinend am Flußufer stand. Es sollte nicht so zu Ende gehen, nicht nach allem, was sie durchgemacht, was sie getan hatte. Ihre Verzweiflung war niederschmetternd.
Der Zauberer beschwor mit erhobenen Armen mehr Licht, mehr Schatten, mehr Magie. Der Fluß um ihn herum trübte sich. Die zischende Kugel in der Luft wuchs, während sie der Wasseroberfläche langsam näher kam. Lichtsäulen schossen von der heißen, rotierenden Blüte der Macht empor.
Die Sonne ging über den Hügeln hinter den D´Haranern auf. An dieser Stelle war der Fluß nicht so breit wie sonst, daher konnte Abby das rege Getriebe jenseits der Bäume sehen. Männer liefen herum, aber der Nebel am anderen Ufer machte sie argwöhnisch und hielt sie unter den Bäumen.
Auf der anderen Seite des Flusses, am Fuß der bewaldeten Hügel, war ein anderer Zauberer erschienen, um Magie zu beschwören. Auch er stand auf einem Felsen und ließ von seinen Armen funkelndes Licht in die Luft strömen. Abby dachte, daß die helle Morgensonne die Beschwörungen zu überstrahlen vermöchte, aber das tat sie nicht.
Abby konnte es nicht mehr aushalten. »Zedd!« rief sie über den Fluß. »Zedd! Bitte, du hast es versprochen! Ich habe deine Tochter gefunden! Was ist mit meiner? Bitte tu das nicht, bevor sie in Sicherheit ist!«
Zedd drehte sich zu ihr um und sah sie wie aus weiter Ferne an, wie aus einer anderen Welt. Arme dunkler Umrisse liebkosten ihn. Finger dunklen Rauchs strichen über seine Wangen und drängten ihn, seine Aufmerksamkeit wieder ihnen zu schenken, aber statt dessen sah er Abby an.
»Es tut mir so leid.« Trotz der Entfernung konnte Abby seine geflüsterten Worte deutlich hören. »Ich habe dir Zeit gegeben, damit du versuchen kannst, sie zu finden. Ich kann nicht noch mehr erübrigen, sonst werden unzählige andere Mütter um ihre Kinder weinen - Mütter, die noch leben, und Mütter in der Geisterwelt.«
Abby stieß einen Aufschrei der Resignation aus, als er sich wieder dem Zauberwerk zuwandte. Die beiden Frauen versuchten, sie zu trösten, aber Abby war untröstlich in ihrem Schmerz.
Donner rollte über die Hügel. Krachender Lärm des Zaubers um Zedd herum erhob sich und hallte durch das Tal wider. Gleißende Lichtstrahlen schossen nach allen Seiten. Es war ein verwirrender Anblick, dieses Licht, das ins Sonnenlicht hinein schien.
Auf der anderen Seite des Flusses schien eine Abwehr von Zedds Magie zu entstehen. Arme aus Licht wanden sich wie Rauch, sanken herab und verschmolzen mit dem Licht, das um Zedd herum erstrahlte. Plötzlich verzog sich der Nebel am Ufer.
Als Reaktion darauf breitete Zedd die Arme aus. Der glühende, kreisende Feuerofen aus geschmolzenem Licht donnerte. Das Wasser, das darauf troff, kochte und verdampfte brüllend. Die Luft selbst schien protestierend zu wimmern.
Hinter dem Zauberer am gegenüberliegenden Flußufer strömten die Soldaten von D´Hara zwischen den Bäumen hervor und trieben die Gefangenen vor sich her. Menschen schrien vor Entsetzen. Sie zauderten vor der Magie der Zauberer, wurden aber mit Speeren und Schwertern im Rücken weiter vorwärts getrieben.
Abby sah einige, die nicht weitergehen wollten und den Schwertern zum Opfer fielen. Als sie die Todesschreie hörten, liefen die anderen weiter wie Schafe vor einem Wolfsrudel.
Wenn Zedd mit dem, was er tat, scheiterte, würde die Armee der Midlands in dieses Tal vorstoßen und sich dem Feind entgegenstellen. Die Gefangenen würden in der Mitte aufgerieben werden.
Eine Gestalt lief am anderen Ufer entlang und zerrte ein Kind mit sich. Plötzlich bedeckte kalter Schweiß Abbys Haut wie eine Eisschicht. Es war Mariska. Abby warf einen hastigen Blick zurück über die Schulter. Es war unmöglich. Sie sah blinzelnd über den Fluß.
»Neiiiin!« schrie Zedd auf.
Mariska hielt Zedds kleine Tochter an den Haaren.
Irgendwie war Mariska ihnen gefolgt und hatte das Kind gefunden, das in Abbys Haus schlief. Da niemand auf das schlafende Kind aufpaßte, hatte
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