Der siebte Schrein
Mariska es erneut entführt.
Mariska hielt das Kind vor sich, damit Zedd es sehen konnte. »Hör auf und ergib dich, Zorander, oder sie stirbt!«
Abby schüttelte die Arme ab, die sie hielten, und lief ins Wasser. Sie bemühte sich, gegen die Strömung zu laufen, den Zauberer zu erreichen. Auf halbem Weg drehte er sich um und sah ihr in die Augen.
Abby erstarrte. »Es tut mir leid.« Ihre eigene Stimme kam ihr wie das Flehen vor einem Todesurteil vor. »Ich dachte, sie wäre in Sicherheit.«
Zedd nickte resigniert. Es lag nicht mehr in seiner Macht. Er drehte sich wieder zum Gegner um. Er hob die Arme an den Seiten. Er spreizte die Finger, als wollte er allem Halt gebieten - Männern und Magie gleichermaßen.
»Laß die Gefangenen gehen!« rief Zedd über das Wasser dem gegnerischen Zauberer zu. »Laß sie gehen, Anargo, und ich schenke euch allen das Leben.«
Anargos Lachen hallte über das Wasser.
»Ergib dich«, zischte Mariska, »oder sie stirbt.«
Die alte Frau zog das Messer, das sie in der Schärpe um ihre Taille stecken hatte. Sie hielt dem Kind die Klinge an die Kehle. Das Mädchen schrie vor Entsetzen und streckte die Arme nach seinem Vater aus; die kleinen Finger schienen in die Luft zu krallen.
Abby kämpfte sich weiter im Wasser voran. Sie schrie und flehte Mariska an, Zedds Tochter freizulassen. Die Frau schenkte Abby so wenig Beachtung wie Zedd.
»Letzte Chance!« rief Mariska.
»Du hast es gehört«, rief Anargo knurrend über das Wasser. »Ergib dich jetzt, oder sie wird sterben!«
»Du weißt, daß ich mich nicht über mein Volk stellen kann!« rief Zedd zurück. »Das ist etwas zwischen uns beiden, Anargo! Laß sie alle gehen!«
Anargos Lachen hallte den Fluß hinauf und hinab. »Du bist ein Narr, Zorander! Du hast deine Chance gehabt!« Sein Gesichtsausdruck wurde wutverzerrt. »Töte sie!« rief er Mariska zu.
Zedd hielt die geballten Fäuste an die Seiten und schrie. Der Ton schien den Morgen mit seiner Wut zu zerreißen.
Mariska hob das kreischende Kind an den Haaren hoch. Abby stöhnte ungläubig, als die Frau dem kleinen Mädchen die Kehle durchschnitt.
Das Kind zappelte. Blut spritzte auf Mariskas knotige Finger, während sie heftig mit der Messerklinge sägte. Sie zerrte ein letztesmal kraftvoll an dem Messer. Der blutüberströmte Körper sank zu einem blutigen Bündel zusammen. Abby spürte, wie ihr Mageninhalt ihr in die Kehle stieg. Der schlammige Schlick am Ufer färbte sich blutrot.
Mit einem Siegesgeheul hielt Mariska den abgeschnittenen Kopf hoch. Fleischfetzen und Sehnen baumelten darunter. Der Mund hing in einem erschlafften, stummen Schrei herab.
Abby schlang die Arme um Zedds Beine. »Gute Geister, es tut mir leid! Oh, Zedd, vergib mir!«
Sie wimmerte vor Qual und war wie von Sinnen, nachdem sie Zeugin dieses gräßlichen Anblicks geworden war.
»Und nun, Kind«, fragte Zedd mit heiserer Stimme über ihr, »was soll ich tun? Soll ich sie gewinnen lassen, um deine Tochter vor dem zu bewahren, was sie meiner angetan haben? Sag es mir, Kind, was soll ich tun?«
Abby konnte nicht um das Leben ihrer Familie bitten, wenn der Preis dafür war, daß diese Leute brandschatzend durch das Land ziehen konnten. Ihr von Ekel erfülltes Herz ließ es nicht zu. Wie konnte sie das Leben und den Frieden aller anderen gefährden, nur damit ihre eigene Familie am Leben bleiben konnte?
Sie wäre nicht besser als Mariska, die unschuldige Kinder tötete.
»Töte sie alle!« schrie Abby zu dem Zauberer hinauf. Sie wirbelte herum und zeigte auf Mariska und den verhaßten Zauberer Anargo. »Töte die Nichtswürdigen! Töte sie alle!«
Zedd warf die Arme hoch. Ein Donnerschlag zerriß den Morgen. Die geschmolzene Masse vor ihm stürzte ins Wasser, als hätte er sie losgelassen. Der Boden erbebte unter dem Aufprall. Ein gewaltiger Geysir schoß in die Höhe. Die Luft selbst erbebte. Überall ringsum peitschte ein gräßliches Grollen das Wasser zu Gischt auf.
Abby, die bis zur Taille im Wasser kauerte, fühlte sich nicht nur vor Kälte taub, sondern auch weil sie wußte, daß sie von den guten Geistern verlassen worden war, obwohl sie stets geglaubt hatte, daß sie über sie wachen würden. Zedd bückte sich, ergriff ihren Arm und zog sie zu sich auf den Felsen.
Es war eine andere Welt.
Die Schemen ringsum riefen auch sie. Sie dehnten sich und überbrückten die Entfernung zwischen Leben und Tod. Verzehrende Schmerzen, beängstigendes Glück, umfassender Friede breiteten sich
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