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Der siebte Schrein

Der siebte Schrein

Titel: Der siebte Schrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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nach ihrer Berührung in Abby aus. Licht strömte durch ihren Körper wie Luft, die in ihre Lungen einströmte, und explodierte vor ihrem geistigen Auge zu Funken. Das krachende Heulen der Magie war ohrenbetäubend.
    Grünes Licht schnellte durch das Wasser. Auf der anderen Seite des Flusses war Anargo zu Boden geworfen worden. Der Felsen, auf dem er gestanden hatte, war zu spitzen Trümmern zerschellt. Die Soldaten schrien vor Furcht auf, als in der Luft um sie herum kreisende Rauchschwaden und Lichtpünktchen tanzten.
    »Lauft!« schrie Mariska. »Solange ihr noch die Möglichkeit habt! Lauft um euer Leben!« Sie rannte bereits auf die Hügel zu. »Laßt die Gefangenen zurück, sollen sie sterben! Rettet euch selbst! Lauft!«
    Plötzlich schlug die Stimmung auf der anderen Seite des Flusses in blindwütige Entschlossenheit um. Die D´Haraner ließen die Waffen fallen. Sie warfen die Ketten und Seile fort, mit denen die Gefangenen gefesselt waren. Als sie sich herumwarfen und davonrannten, wirbelten sie Sand und Staub auf. Binnen eines einzigen Augenblicks floh die gesamte Armee der Soldaten, die sich ihnen vor einem Moment noch grimmig entgegengestellt hatten, als wären sie alle von Angst übermannt worden, um ihr Leben.
    Aus den Augenwinkeln sah Abby die Hexenmeisterin und die Mutter Konfessorin ins Wasser laufen. Obwohl ihnen das Wasser kaum bis zu den Knien reichte, bremste es ihr Vorankommen wie Schlamm.
    Abby verfolgte alles wie in einem Traum. Sie schwebte in dem Licht, das sie einhüllte. Schmerz und Verzückung in ihr waren eins. Licht und Dunkel, Klang und Stille, Freude und Schmerz, alles war eins, alles und nichts vereint in einem Hexenkessel entfesselter Magie.
    Auf der anderen Seite des Flusses war die Armee D´Haras im Wald verschwunden. Staub stieg über den Bäumen auf, wo Pferde, Wagen und Männer flohen, während die Hexenmeisterin und die Mutter Konfessorin am Ufer Leute ins Wasser drängten und ihnen etwas zuriefen, aber Abby konnte die Worte nicht verstehen, so fasziniert war sie von dem seltsam harmonischen Trillern, das ihre Gedanken zu Visionen tanzender Farben verbog, die alles überlagerten, was ihre Augen ihr zeigen wollten.
    Sie war einen kurzen Moment überzeugt, daß sie im Sterben lag. Sie dachte einen kurzen Moment, daß es keine Rolle spielte. Und dann schwamm ihr Verstand wieder in kalten Farben und heißem Licht, im Trommeln der Magie und der verschmelzenden Welten. In der Umarmung des Zauberers fühlte sie sich, als würde sie wieder von ihrer Mutter gehalten werden. Vielleicht war es so.
    Abby bemerkte, daß Menschen die auf den Midlands gelegene Seite des Flusses erreichten und vor der Mutter Konfessorin und der Hexenmeisterin herliefen. Sie verschwanden im Schilf, und dann sah Abby sie in weiter Ferne, jenseits des hohen Grases, wo sie bergauf liefen, weg von dem erhabenen Zauber, der aus dem Fluß hervorbrach.
    Die Welt um Abby herum donnerte. Ein unterirdisches Beben erzeugte Schmerzen tief in ihrer Brust. Ein Kreischen, als würde Stahl zerfetzt werden, hallte gellend durch die Morgenluft. Überall ringsum tanzte und bebte das Wasser.
    Heißer Dampf fühlte sich an, als würde er Abbys Beine verbrühen. Die Luft wurde ganz weiß davon. Der Lärm tat ihr so sehr in den Ohren weh, daß sie die Augen zusammenkniff. Mit geschlossenen Augen sah sie dasselbe wie mit offenen - schattenhafte Formen, die sich in der grünen Luft wanden. Alles in ihrem Verstand wurde zusammenhanglos und ergab keinen Sinn mehr. Grüner Wahnsinn zerrte an ihrem Körper und ihrer Seele.
    Abby spürte einen Schmerz, als würde etwas in ihr zerreißen. Sie stöhnte und schlug die Augen auf. Eine grauenerregende Wand aus grünem Feuer entfernte sich von ihnen und rollte zum gegenüberliegenden Ufer. Wasserfontänen wirbelten hoch wie ein umgekehrtes Gewitter. Über der Oberfläche des Flusses zuckte ein Netz von Blitzen.
    Als die Feuersbrunst das andere Ufer erreichte, riß der Boden darunter auf. Violette Lichtsäulen schossen aus den klaffenden Wunden der Erde empor wie Blut aus einem anderen Reich.
    Aber schlimmer als alles andere war das Heulen. Das Heulen der Toten, davon war Abby überzeugt. Ihr kam es so vor, als würde ihre eigene Seele angesichts der gequälten Schreie vor Mitleid stöhnen. Aus der enteilenden grünen Feuerwand wanden und zuckten die Formen, riefen, flehten und versuchten, der Welt der Toten zu entkommen.
    Nun begriff sie, worum es sich bei der Wand aus grünem Feuer handelte -

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