Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
zerrissen und zerrupft. Es war wichtig, den Pug freundlich zu stimmen. Wenn er zufrieden war, lag Glück auf dem Haus.
Und wenn es nicht so war, gab es kaum eine Möglichkeit, ihn loszuwerden. War es die frühere Köchin gewesen, die davon gesprochen hatte? Man musste ihn verkaufen, und zwar zu einem geringeren Preis als den, um den man ihn selbst erworben hatte. Und da kaum jemand wissen konnte, wie viel von dem Geld, dass er für das Haus bezahlt hatte, für den Pug gewesen war … Viel besser war es da, sich mit ihm gutzustellen und ihn nicht zu verärgern.
Natürlich waren das keine Geschichten, die der Herr Pastor sonntags auf der Kanzel erzählte. Und doch hatte Mina selbst die Mamsell einmal dabei beobachtet, wie sie das Milchschälchen eigenhändig auffüllte.
Der Pug konnte etwas wissen. Der Pug in seinem Haus am Fluss.
In seinem Haus?
Mina fröstelte in der Kühle, die vom See heraufstrich. Es
gab einen Zufluss zum See, in der Nähe des Steges hatte sie ihn gesehen. War das der Fluss, den die Nixe gemeint hatte?
Sie wünschte sich, sie hätte Lilja danach fragen können. Mit der Hilfe des Selams würde sie es schon zusammenbekommen. Aber das durfte sie nicht, und sie wusste es. Sie durfte die Tater nicht noch einmal in Schwierigkeiten bringen. Die Worte der Nixe hatten bedrohlich geklungen.
Je länger Mina fröstelnd dalag und nachdachte, desto klarer wurde ihr, dass sie die Tater nicht noch einmal bitten durfte, ihr zu helfen. Ihretwegen waren sie zum Brutsee gezogen, und in dem grauen Kummer, den er weit über das Land spann, waren Rosa und Viorel in Streit geraten, bevor sie überhaupt in seine Nähe kamen. Und vorher? Sie hatte die Hunde zum Taterlock geführt, als sie sich mit Tausendschön dorthin flüchtete. Sie hatte sie wieder auf die Spur der Tater gebracht, als sie sie aus dem Rapsfeld retteten. Und bei der Tänzerin … Was wäre geschehen, wenn nicht sie als Erste in die Halle getreten wäre? Wenn Marthe Rosa zum Tanz gebeten hätte, oder Pipa, oder Zinni?
Nein, sie durfte es nicht. Die Tater hatten nur Freundlichkeit für sie gehabt von Anfang an, und Mina hatte ihnen nichts als Gefahr und Kummer gebracht.
Sie musste allein weitergehen.
Als der Gedanke sich in ihr festsetzte wie mit Distelwurzeln, schauderte es ihr. Und ihr schauderte noch, als sie sich schon widerstrebend aufgerichtet hatte, den Mantel angezogen, das Bündel aufgenommen. Der Zauberwald starrte schwarz und schweigend auf sie herunter. Wie riesenhaft die Bäume wirkten, wenn man daran dachte, wie man allein im Finstern unter ihnen wanderte. Minas Bewegungen waren schwerfällig wie in einem schlechten
Traum, und doch nicht langsam genug. Irgendwann, viel zu schnell, kam der Moment, in dem sie stand, das Bündel auf dem Rücken, und auf die schlafenden Tater blickte, die friedlichen, vertrauten Schemen im Gras. Die Traurigkeit, die sie packte, war beinahe so schlimm wie am Brutsee.
Sie ging mit zögernden, winzigen Schritten, und doch erreichte sie rasch den Rand des kleinen Lagers. Rosa lag dort, abseits, am weitesten von Viorel entfernt. Sie hatte sich auf dem Rücken ausgestreckt, und in dem schwachen Licht wirkte ihr Gesicht noch mehr als sonst wie eine schimmernde Blüte. Mina hielt neben ihr. Der Gedanke kam ihr, dass sie sich nicht wortlos davonstehlen sollte. Sie musste etwas zurücklassen, als Gruß, als Zeichen, als Dank. Aber was hatte sie, das sie auf ihrem Weg nicht brauchen würde?
Der Schlüssel fiel ihr ein; aber so schnell, wie der Gedanke gekommen war, schob sie ihn beiseite. Sie wäre froh gewesen, ihn los zu sein, ihn und den Schmerz, den er in sich barg. Aber sie hatte ihn sich zu hart erkämpft.
So schob sie sich schließlich das Bündel von den Schultern und zog den hellblauen Kindermantel aus. Er war schmutzig geworden auf der Reise, eingerissen auch am Saum. Aber zwischen den Flecken glänzte der Stoff noch immer hell und weich wie Seide. Mina streichelte ihn wehmütig, bevor sie ihn so sanft wie möglich auf Rosas schlafende Gestalt niedersinken ließ, und es fühlte sich an, als ob ein Stück von ihr darin haftenblieb. Von der alten Mina, die heimlich mit unsichtbaren Damen auf dem Dachboden tanzte und lachte, wenn das Licht so bunt über die schrägen Wände sprang … Vielleicht würde es ein wenig helfen gegen den grauen Kummer, der vom Brutsee herübertrieb.
»Mina.«
Ein Wispern, kaum hörbar, gerade, als sie sich endgültig zum Gehen wandte.
»Mina, sei nicht dumm.«
Es war Rosa.
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