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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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Angst, sie könnten deine Stimme hören und doch herüberkommen?«

    Rosa drückte Minas Hand noch einmal.
    »Sie ist stumm«, sagte sie fest. »Sie kann nicht mit dir sprechen. Aber sie ist die, der man die Botschaft aufgetragen hat.«
    »So?«
    Die Nixe schwang ihren Schwanz durchs Wasser, und plötzlich war sie so nah beim Stein, dass Mina die Härchen ihrer farblosen Brauen sehen konnte, zart und gebogen wie ganz junges Schilf.
    »Ein schweigsames Menschenmädchen«, sagte sie, und es klang nachdenklich. »Das ist selten. Gewöhnlich plappert ihr, solange ihr wach seid, und manchmal noch im Traum. Die Bäche hören es oft, wenn sie an euren Häusern vorbeiziehen. Aber wenn sie schweigsam ist, wie kann sie dann eine Botschaft überbringen?«
    »Ich bringe sie für sie.« Rosas Stimme war ruhiger geworden, und dicht unter den Worten hörte Mina, dass sie sich über die Nixe zu ärgern begann. »Wirst du sie nun annehmen und hinüberbringen, oder muss ich Ekke Nekkepen selber fragen?«
    »Ekke Nekkepen!« Wieder lachte die Nixe, laut und fröhlich. »Und was hätte er hier zu schaffen? Dies ist unser See. Kein Ort für Mannsvolk, mag es auch eine Krone tragen. Alle Wasser sind eins, so wie alle Bäume ein Wald sind, und durch Windungen unter der Erde gelangt der Nixenkönig in jedes schmale Rinnsal. Aber hier - hier hat er nichts verloren. Dies ist unser See.«
    Mina zögerte. Sie fürchtete sich vor der Wasserfrau. Aber es gab nicht viel, das sie tun konnte. Ohne hinzusehen, tastete sie im Bündel unter der Spieluhr nach dem Kettchen, das Marthe ihr gegeben hatte. Sie blickte der Nixe in die
großen, hellen Augen, holte aus und warf die Kette in den See, so weit sie konnte. Der Wasserspiegel zerriss, und Ringe breiteten sich aus.
    Minas Herz klopfte. Die Nixe betrachtete sie lange still, ohne einen Wimpernschlag. Endlich sagte sie, so leise wie der Regen, der auf das Wasser fiel:
    »Schön tanzte sie, die dir die Kette gab. Als sie die ersten Schritte in den Reigen tat, war noch ein Bächlein hinter der großen Halle, und die Schatten der Menschen im Kerzenlicht spiegelten sich auf ihm … Und dann kamen Nacht und Einsamkeit zwischen den schimmernden Kerzen. Wir sahen sie dort, oh ja. Jeden Abend, solange der Bach noch floss. Jetzt kann sie also ihre müden Füße ruhen lassen. Wer weiß, ob es sie glücklicher macht?«
    Sie schlug mit der großen Schwanzflosse.
    »Keinem anderen Menschen«, sagte die Nixe lauter, »hätte ich es erlaubt, Tand in unseren See zu werfen. Ich würde ihn an den Haaren packen und nach unten ziehen, damit er es sucht und wieder nach oben bringt, und das Leben würde ihn in silbernen Perlen verlassen. Weil du schweigsam bist wie die schönen Fische und mutig wie Ekke Nekkepen, wenn er hoch auf das Land zieht, im Herbst, unter den wilden Stürmen - deshalb will ich es dir gestatten. Deine Botschaft ist überbracht, Menschenmädchen. Die eine, die einsam tanzte, ist frei geworden.«
    Mina sah auf den See, zum Mittelpunkt der Ringe. Das Kettchen war untergegangen, viel zu weit von dem blassen Kreis entfernt, der sich immer noch auf der Seemitte drehte. Ihre Schultern sanken nach unten. Überbracht, dachte sie, ja. Aber wer wird sie so hören können? Und was soll sie denen auf dem Wasser bedeuten?

    Kalt fühlte sie sich und elend. Sie hatte das Gefühl, Marthe im Stich gelassen zu haben. Ohne zu wissen, was sie anderes hätte tun sollen.
    Die Nixe musterte sie.
    »Seltsames Menschenkind«, sagte sie, »mit einem seltsamen Menschenherzen. Berühren sie es wirklich so sehr, die wilde Marthe und die Seebräute, die du doch niemals kanntest? Du denkst wohl richtig, Mädchen. Die Kette ist versunken, und die bleichen Blumen dort drüben haben es nicht einmal bemerkt. Aber, weißt du …« Sie zögerte, tastete mit der Zunge nach Worten, als ob ihr Geschmack fremd wäre. »Weißt du … die Dinge, die ins Wasser geworfen werden, sind niemals wirklich verloren. Die Kette bleibt vielleicht an einem Stein hängen, irgendwo auf dem Weg nach unten. Ein Fisch stößt sie an; sie verfängt sich in den Wurzeln einer Seerose. Der Wind bewegt sie durch das Wasser, und eines Nachts, wenn der Mond scheint, streift ein Zipfel Schleier beim Auftauchen darüber … Und ein Gedanke entsteht vielleicht, dort, wo so lange nur Kummer wohnte. Ein Gedanke an … Möglichkeit. An … Freiheit …«
    Die Nixe verstummte und schlug mit dem Schwanz, als ärgerte sie sich über sich selbst.
    Mina löste ihre Hand aus

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