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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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lichter. Es gab Stellen, an denen die Zweige sich kaum berührten; Stellen, an denen der Himmel still und fern hinabsah auf den geschäftigen Fluss. Waren es Wolken, die dort so langsam trieben, mehr von den feinen Tropfen in ihren dunklen Bäuchen? Allmählich hatte der Regen nachgelassen. Es konnten auch die Nebel sein, die sich bis hier emporwanden.
    Mina legte den Kopf in den Nacken und sah, dass das Licht heller und klarer wurde. Wolkenränder traten hervor, Linien, wie aus schwarzgrauem Papier gerissen. Und der weiße Mond fiel zwischen den Wolken hindurch, in den Fluss, der ihn plätschernd begrüßte.
    Kleine Wellen liefen über die Spiegelung. Schimmernd führten sie weg vom See.
    Geh, frag den Mond, Menschenmädchen .
    Mina nickte langsam, einmal nur.
    Sie ließ Rosas Hand los, die Wärme, die Sicherheit, und trat ans Flussufer. Als sie die ersten vorsichtigen Schritte machte, bewegte sich der Mond im Fluss mit ihnen. Zwei oder drei Meter vor ihr schwamm er dahin, und sie heftete ihren Blick auf sein Glänzen. Dann streckte sie den Arm aus, ohne hinzusehen, berührte leicht die glatten, nassen Stämme neben sich, um nicht den Halt zu verlieren, und fing an, ihm hinterherzugehen.
    Rosa folgte ihr wortlos. Die Nebel und die weiche Erde verschluckten ihre Schritte.

    Der Mond verließ den Fluss nicht wieder, und er verließ sie nicht. Manchmal berührten die Wolken sein Gesicht, oder der Dunst zog sich um ihn zusammen, und sein Licht wurde für ein paar Meter schwächer; manchmal trug ihn eine weite Biegung an den Rand des Wassers. Aber er verschwand nie ganz, und Minas Augen hingen an ihm bei jedem Schritt, den sie tat.
    Lange gingen sie schweigend, und je länger sie gingen, desto mehr löste sich der graue Kummer des Sees im weißen, klaren Mondlicht auf. Minas Füße wurden nach und nach leichter, obwohl sie so müde gewesen war. Ihr Kleid schien sich sanfter von den Strauchranken zu lösen, in denen es sich hin und wieder verfing. Die Furcht versank und gab Raum frei für etwas, das mehr wie zitternde Erwartung war.
    Sie hörte nicht auf, die Hand über die Bäume streifen zu lassen, die nahe am Fluss wuchsen. Ihre Finger berührten Borke, Rinde und Zweige. Als sich all das Raue, Feste an einer Stelle plötzlich in etwas Weiches verwandelte, hielt Mina überrascht an und hob den Blick vom Fluss. An den Stämmen wuchsen breite, runde, schwammige Gebilde, mit einer kühlen, glatten Haut bedeckt, die sich beinahe wie Menschenhaut anfühlte. Während Mina sie ansah, schienen sich ein, zwei zarte Nebelwölkchen von den Gebilden zu lösen und in die Nacht zu treiben. Es sah aus, als atmeten sie den Dunst aus, der den Wald erfüllte.
    »Pilze«, sagte Rosa hinter ihr, und Mina hörte glücklich das leichte Lächeln in ihrer Stimme. »Baumpilze, Mina. Sie leben auch, weißt du. Nur sehr, sehr langsam. Wie vieles im Wald.«
    Gebannt beobachtete Mina, wie ein weiteres Hauchwölkchen sich von den Stämmen löste.

    Sie hörte, wie Rosa einatmete, vielleicht, um noch mehr zu sagen; aber das Geräusch stockte mit einem Mal, sehr plötzlich und sehr hart. Angstfinger griffen Mina eisig um die Schultern.
    »Schsch«, flüsterte Rosa. »Es ist jemand hinter uns.«
    Ein Knacken, irgendwo in den Hölzern. Ein Rascheln von gebogenen Zweigen. Mina und Rosa schoben sich dichter aneinander.
    »Kein Tier«, hauchte Rosa, »viel zu laut für ein Tier. Es klingt mehr wie …«
    Wieder stockte sie, aber diesmal klang es verblüfft, ungläubig, nicht erschrocken. Als es wieder knackte, räusperte Rosa sich.
    »Komm raus«, sagte sie laut und überhaupt nicht mehr ängstlich. »Hör auf, uns nachzuschleichen. Du machst es schlecht, also komm lieber raus.«
    Mina blieb der Mund offen stehen, als ein kleines Gebüsch mit Pipas mürrischster Stimme antwortete:
    »Lange genug habt ihr es aber nicht gemerkt.«
    Die Zweige gaben eine kleine Gestalt frei, Blätter und Stöckchen in den Haaren. Die roten Schleifen wirkten dunkel wie der Fluss. Zögernd, aber mit hoch erhobenem Kopf kam Pipa zu ihnen ans Ufer.
    »Ich will mit euch gehen«, sagte sie und sah an Mina vorbei Rosa ins Gesicht. »Ihr könnt mich nicht einfach zurücklassen.«
    »Pipa«, sagte Rosa sanfter, »du weißt nicht, was du redest. Es ist gefährlich, wo wir hingehen. Und Lilja und Nad brauchen dich.«
    »Das tun sie nicht!« Pipa stemmte die Fäuste in die Hüften. »Alle kommen sehr gut ohne mich zurecht. Du auch,
wie? Aber ich lass mich nicht zurückschicken wie ein

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