Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
Ausatmen.
»Danke, Mina«, sagte Pipa. »Ich finde sie schnell. Und ich sage ihnen, wo ihr seid.«
Mina öffnete die Augen nicht. Die Sehnsucht, es zu tun, sich fallenzulassen in die unendliche grüne Umarmung, war so stark, dass sie es nicht wagte. Sie hielt nur still, wartete auf das Geräusch von Schritten, die sich leise entfernten. Etwas berührte sie sacht an der unverletzten Wange.
»Danke«, hauchte Pipas Stimme noch einmal, ganz nah bei ihr. »Und pass gut auf Rosa auf.«
Dann war sie fort, und Zweige knisterten.
Mina kniff die Augen noch fester zusammen. Das Geräusch wurde schwächer. Aber es verschwand nicht ganz. Ein Hauch davon blieb in der Luft haften, so sehr Mina sich auch darauf konzentrierte, die Dornen wieder zu fühlen und das kurze Unkraut unter ihren Knien.
»Es ist gut, Mina«, sagte Rosa irgendwann; sie klang verwundert. »Du hast es gut gemacht. Willst du die Augen nicht wieder aufmachen?«
Mina tat es zögernd, das Knistern der Zweige immer noch in den Ohren. Das Geräusch blieb, auch als sie die Ranken wieder sah, das Gebüsch, den Stein und den Anfang des Weges. Erst im Blinzeln verstand sie, dass es das Flüstern der Felder war, was zu ihr herüberklang.
Mina öffnete den Mund, lockerte den verkrampften Kiefer. Die Wunde in ihrer Wange pochte dumpf. Aber Rosas Lächeln empfing sie und berührte sie warm.
»Da bist du ja«, sagte Rosa. »Einen Moment dachte ich schon, du wolltest nicht wieder herauskommen aus dem Dazwischen. Aber das ist kein Ort für Menschen, nur einer für Katzen.«
Tausendschöns runder schwarzer Kopf erschien hinter Minas Stirn, ungebeten, aber wie gerufen. Er hätte vielleicht den Schrecken verhindern können, der Pipa am Tor angesprungen hatte. Hätte sich vorausschleichen können, geduckt wie ein schmaler Schatten, den Bauch fast auf dem Boden; hätte sie warnen können. Aber er war nicht da, wie Katzen nie da sind, wo man sie sich erhofft oder erwartet; nur im Unvermuteten setzen sie auf weichen Pfoten zur Landung an.
Aber sie waren ja gewarnt worden, oder nicht?
Mina fuhr mit der Hand über den Mondzinken im Stein. Er fühlte sich kalt an. Das zottige Fell der Wolkenschafe hing noch immer fast bis auf die Felder herunter, und kein Sonnenstrahl streifte den Felsen.
»Nein«, sagte Rosa, »ich behaupte nicht: Ich habe euch gewarnt. Obwohl es wahr ist. Denn ich bin trotzdem mit euch gegangen. Und ich fürchte, auch wenn es wahr ist, was der Zinken uns sagen wollte, können wir doch nicht mehr seinen Rat befolgen und einfach fortgehen.«
Sie zeigte auf die Kette des Medaillons um Minas Hals, und Mina errötete, als sie daran dachte, dass Rosa ihr heimliches, einsames Nesteln mit dem harten Metall bemerkt haben musste.
» Sie … Warum sollte man sie in ein Waisenhaus gebracht haben?«, fragte Rosa, aber es war nicht wirklich eine Frage, und als Mina nickte, war es auch nicht wirklich eine Antwort. Nur eine Bestätigung dafür, dass sie beide das Gleiche dachten.
»Sie hatten Eltern. Ich verstehe nicht, warum der Pug dir den Weg hierher gezeigt hat. Aber … ich glaube nicht, dass er sich irrt. Vielleicht waren sie wirklich hier, aus irgendeinem Grund. Auch wenn sie jetzt nicht mehr hier sein werden. Sie werden keine Kinder mehr sein, wenn sie schon so lange fort sind, dass du dich nicht mehr daran erinnern kannst, wie sie verschwanden. Und wenn sie keine Kinder sind, dann sind sie nicht hier. Aber vielleicht«, sie hob zögernd die Schultern, »vielleicht erinnert sich jemand an sie. Vielleicht gibt es Hinweise, Spuren von ihnen. Oder … andere wie sie?«
Ganz kurz blitzte das Haus der Tante Elisabeth vor Minas Augen auf, der wunderschöne, entsetzliche Garten,
das flirrende Glas, und sie hörte ihre brüchige Stimme, wie sie Blätter an Blumenstängeln herzählte und nach einem Kind rief, das niemals antwortete. Andere wie sie …
Das Gefühl war zu schwach, zu vage, um zu nicken. Mina hob nur die Schultern ein wenig, aber Rosa schien sie auch so zu verstehen.
»Wir müssen nachsehen«, sagte sie leise, aber sehr entschlossen. »Wir müssen tun, was Pipa nicht tun konnte. Selbst Lilja könnte es nicht, aber wir müssen es tun. Ja, Mina«, sie beantwortete Minas Staunen mit Ernst, »Lilja könnte nicht hineingehen. Sie würde fortlaufen, wie Pipa es getan hat. Schneller noch, und weiter. Und sie würde Zinni dabei auf dem Arm festhalten und nicht loslassen, bis sie mit ihm in Sicherheit ist.«
Mina starrte sie an, aber Rosa hatte den Blick
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