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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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plötzlich in ein Gewirr von Ranken und Nesseln; wie eine unordentliche Hecke umsäumte es ein brachliegendes Feld, auf dem sich Disteln in die Höhe reckten.
    Rosa gab einen leisen, überraschten Laut von sich. Als Mina neben ihr stand, sah sie unter dem Gesträuch, das Rosa offen hielt, einen Streifen Erde, auf dem das Unkraut kaum fingerhoch wuchs. An den Seiten schienen Vertiefungen zu sein, lange Rillen, jeweils eine rechts und links.
    »Schaut«, sagte Rosa und deutete auf etwas zwischen den Ranken. Unter dem Graugrün der Blätter brach sich das schmutzig-weiße Licht von den Wolkenschafsbäuchen hell auf rauem Stein. Ein kleiner Felsbrocken lag dort, wie eine Markierung.
    »Schaut doch«, sagte Rosa noch einmal, und als Mina sich bückte, sah sie es endlich auch, die Kerben auf der Oberfläche, die Linie, die kein Wetter in den Stein gegraben hatte: ein vollkommener Kreis, ein Mond in wolkenloser Nacht.
    Sie umklammerte das Bündel vor ihrer Brust, als könnte der weiche Stoff den Herzschlag beruhigen, wenn sie es nur
fest genug an sich drückte. Ihr Blick fiel von dem Felsen nach unten; sie sah die Rillen in der Erde, und jetzt war es ihr, als könnte sie fast das Knirschen hören; das Knirschen von hölzernen Wagenrädern, die über den Boden rollten.
    Ohne nachzudenken, griff sie zu, zog Ranken und Zweige weg. Legte etwas mehr von dem frei, was einmal ein Weg gewesen sein musste, schmal, kaum breit genug für eine einzelne Kutsche. Als sie aufsah, stand das rote Hausdach in einer Linie mit dem Felsen.
    »Mina«, die Tatermädchen waren ein, zwei Schritte zurückgetreten, anstatt mit anzufassen, und Rosas Stimme klang flach und gepresst. »Mina, ich bin nicht sicher … Du solltest das vielleicht nicht tun.«
    Verwirrt drehte Mina sich um, die Hände voller Dornen. Sie zeigte auf den Stein, strich über das runde Zeichen. Zog die Augenbrauen in die Höhe.
    Rosa nickte, aber es sah nicht nach Zustimmung aus.
    »Ich weiß, der Mond. Die Nixe hat gesagt, du sollst ihm folgen. Aber, Mina - erinnerst du dich nicht, was sie auch gesagt hat? Dass der Mond gefährlich ist? Er hat uns zum Pug geführt, oder nicht? Und der Pug …«
    Sie musste nicht weitersprechen, Mina schauderte bei der Erinnerung an das Toben in den finstren Räumen. Trotzdem schüttelte sie den Kopf, so heftig, dass die Wunde auf ihrer Wange wieder schmerzte. Es war nicht der Mond gewesen, der sie in die Dunkelheit gezerrt hatte.
    »Mina, hör mir zu.« Rosas Blütengesicht war so ernst und starr wie unter Frost. »Ich weiß nicht, wer die Markierung hier hinterlassen hat, aber … Der Mondzinken ist nicht unbedingt ein gutes Zeichen. Wenn es ein Vollmond ist wie hier …« Ihre Augen waren groß und dunkel. »Dann
bedeutet er, dass man besser nicht näher kommen sollte. Gefahr, Mina. Große Gefahr. Genau wie die Nixe es gesagt hat.«
    Mina starrte sie an, starrte Pipa an. Das Tatermädchen wühlte mit den nackten Zehen in der Erde am Straßenrand. Es nickte zögernd.
    »Rosa hat Recht, weißt du. Du bist eine Ga… Du kannst es nicht wissen, Mina. Der Vollmondzinken ist eine Warnung. Es sind vielleicht schlechte Leute in dem Haus, zu dem er gehört.«
    Schlechte Leute? Mina sah wieder zu dem Dach hinüber. Es hatte nichts Bedrohliches an sich. Weshalb sollten sie sich vor seinen Bewohnern fürchten? Wenn Menschen dort lebten, dann konnte man sie fragen, nach dem Wagen vielleicht, nach den weinenden Kindern, die er am Haus des Pugs vorbeigetragen hatte. Und wenn es keine Antworten gab, wenn sie nichts fanden, was ihnen weiterhalf, dann würden sie weiterziehen. Wer sollte ihnen dabei Böses wollen?
    Die Zweifel mussten sich auf ihrer Stirn malen. Rosa strich ihr über den Kopf, als wollte sie sie besänftigen, und sagte:
    »Viele Menschen in den Häusern mögen uns nicht besonders. Das solltest du eigentlich wissen, Mina. Und selbst wenn du keine Taterin bist … Glaubst du, jemand anderes wird jetzt den Unterschied noch feststellen können?«
    Betroffen sah Mina an sich herunter, auf das zerrissene, geflickte Kleid, die nackten, schmutzigen Füße. Die zerzausten Haarsträhnen kitzelten sie im Nacken. Sie brauchte keinen Spiegel, um zu wissen, dass Rosa Recht hatte. Niemand würde sie so noch für ein braves Gutsmädchen halten.

    Aber der Mond! Der Mond zeigte ihr den Weg …
    Pipa schob ihre kleine, warme, feste Hand in Minas.
    »Ich weiß etwas«, sagte sie leise und sah dabei Rosa an. »Wir könnten uns vorsichtig anschleichen, so dass

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