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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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niemand uns sieht. Wir finden heraus, wer in dem Haus wohnt, und wenn sie uns gefährlich vorkommen, sind wir weg wie Rauch über dem Dach, bevor sie uns entdecken können. Ich kann leise sein«, sie kam dem Zweifel zuvor, der schon auf Rosas Lippen lag, »so leise wie du, wenn ich mir Mühe gebe, das weißt du. Und Mina auch.«
    Sie drückte Minas Hand, und es stach glücklich in Minas Wangen.
    Rosa legte den Kopf schief.
    »Das denken wohl alle«, sagte sie, »dass sie schon herausfinden werden, ob es wirklich gefährlich ist, dass sie schnell fort sind, bevor man sie erwischt. Dafür sind die Zinken da, Pipa.« Sie seufzte. »Aber ich sehe schon, es stehen zwei gegen eine. Es ist noch nicht ganz Tag, und das Licht ist schwach. Wir wollen versuchen, wie nahe wir herankommen. Nur versuchen, hört ihr?«
    Sie nickten beide, so eifrig, dass Pipa lachen musste, als sie sich dabei ansahen. Rosa stimmte nicht mit ein.
     
    Es war leichter und schwerer, als es ausgesehen hatte. Leichter, weil die dornigen Sträucher nur die ersten Schritte auf dem verwischten Weg versperrten; ein paar Meter weiter wichen sie beiseite, als hätten sie es aufgegeben, und wenn man den Blick auf den tiefen Wagenrinnen hielt, war es einfach, dem Weg zu folgen.
    Gleichzeitig waren die drei so viel sichtbarer, als sie gehofft hatten, und sie kamen so schnell voran, dass der aufziehende
Morgen kaum mit ihnen Schritt halten konnte. Mina stieß beinahe mit dem tief gesenkten Kopf gegen die Mauer, die sich hinter den Bäumen des Knicks verborgen hatte; eben war er noch so weit entfernt gewesen, jetzt warf er seinen schwachen grauen Schatten über sie. Als sie aufblickte, sah sie das rote Dach riesenhaft hinter der Mauer aufragen.
    Pipa stieß mit ihr zusammen.
    »Nun«, sagte Rosa leise, als sie alle drei den Kopf in den Nacken legten und zur Mauerkrone aufsahen, »das ist nicht ganz so gegangen, wie wir es gedacht haben. Ich glaube, dort drüben ist das Eingangstor. Offener hätten wir nicht kommen können.«
    Mina hörte kaum auf sie. Es zog sie an der hohen Steinmauer entlang, dorthin, wo sie wie Rosa den dunklen Halbkreis des Tores ahnte. Ein Haus, ein ganz gewöhnliches Haus, mit einer gewöhnlichen Mauer und einem gewöhnlichen Tor. So wirklich, so vertraut. Je näher sie ihm kam, desto mehr fühlte es sich an, als habe sie Jahre in einer verwirrenden, rätselhaften Wildnis verbracht, wo alle Antworten nur noch mehr Fragen in sich bargen. Aber dort, dort vorn, hinter dem Tor, lebten Menschen so wie sie, und der Mond hatte sie zu ihnen geführt. Es schien fast unmöglich, dass sie hier keine Antworten finden würde. Selbst wenn sie noch nicht wusste, wie sie die Fragen stellen sollte.
    Sie lief beinahe auf das Tor zu, die zwei breiten, schwarzhölzernen Flügel, die zur Nacht fest verschlossen waren. Eine Klinke sah sie nicht, nur einen gedrehten Knauf aus dunklem Eisen; als sie ihn anfasste, rührte er sich nicht. Sie war so ungeduldig, dass sie daran rüttelte.
    »Mina!« Rosa packte ihr Handgelenk entschieden, und
zog sie ein Stück zurück. »Willst du die Leute im Morgengrauen aus dem Bett schrecken? Was denkst du, wie ihnen das gefällt?«
    Einen Moment wollte Mina sich losreißen. Aber Rosa sah sie an, nicht wütend, nicht verächtlich; nur voller Sorge in den Augen, als ob die tiefen grauen Wolken sich schwer in ihnen hin und her bewegten. Sie ließ den Arm sinken.
    »Was ist das für ein Haus?«, fragte Pipa. »Sieh mal, Rosa, da oben, über der Tür. Was sind das für Bilder?«
    Rosa ließ Mina los, so rasch, als wäre sie erleichtert über die Ablenkung.
    »Ich weiß nicht, Pipadscha.«
    Pipa hatte Recht. Als Mina nach oben sah, entdeckte sie dicht über dem gerundeten Torsturz eine Reihe von Steinbildern, einen Fries, sorgfältig gearbeitet und einen guten halben Meter hoch. Kleine Gestalten waren darauf abgebildet; Gestalten, die im Garten zu arbeiten schienen, oder auf einem Feld, die einen Spinnrocken auf dem Schoß hielten oder an einem Webstuhl saßen. Mina fühlte die Aufregung wie sprudelndes Wasser in sich aufsteigen, als sie erkannte, dass es Kinder waren.
    Sie zupfte an Rosas Kleid und deutete hinauf. Aber als Rosa nickte, tat sie es sehr langsam, wie gegen ihren Willen.
    »Ja, Mina, ich sehe es. Ein …«
    »Ein Waisenhaus!«, stieß Pipa plötzlich hervor, und es klang wie ein Keuchen. »Ein Waisenhaus!«
    Sie wich zurück, Schritt für Schritt, ohne hinter sich zu sehen. Ihr Blick klebte starr an den Bildern. Mina

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