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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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schmeckten, ihre Wangen nicht mehr, wie sich ein Lachen anfühlte. Was denn noch, Lilja? Wenn nicht einmal das geholfen hat …
    »Meine Kleine«, sagte Lilja sanft. »Meine arme Kleine. Ich weiß. Ich weiß. Du denkst, dass du leer bist. Nichts mehr in dir, was das Wasser noch nehmen könnte. Nichts, um es der Taterkuhle anzubieten. Aber ich glaube, dass du dich irrst.«
    Der ruhige Blick glitt fort. Liljas Stimme wurde noch leiser.
    »Die Frage ist, was man bereit ist zu geben. Das Wasser findet immer etwas. Und es betrügt einen nie. Niemals. Wenn es auch die Wünsche, die man ihm zuflüstert«, sie atmete einen Seufzer in die stille Luft, »nicht immer so erfüllt, wie man es erwartet.«
    Mina betrachtete sie verwundert. Aber es brauchte gar nicht die Hand, die sie fragend nach ihr ausstreckte, das
Pappelblatt immer noch auf der offenen Fläche. Lilja sprach von selber weiter, ohne sie anzusehen.
    »Zweimal bin ich selbst hineingesprungen in das schwarze Wasser. Beim ersten Mal war ich noch jung, fast so jung wie du heute, Mina. Und ich hatte ein Kind in meinem Bauch. Die alte Nana sagte, dass es verkehrt liegen würde, dass es nicht herauskommen könnte, wenn die Zeit da wäre. Sie hatte mich mit Salben eingerieben, alle Sprüche aufgesagt, die sie kannte. Nad, mein lieber, junger Nad, die Augen ganz wild vor Furcht, hatte mich sogar zu einem Arzt gebracht. Nichts hatte mir genützt. Mein Bauch war schon so dick wie der von zwei anderen Schwangeren. Jede Nacht fühlte ich es, das Kindchen, wie es sich wand und drehte und nicht die richtige Lage finden konnte. Und verzweifelter wurde, das winzige Wesen, genau wie ich. Genau wie Nad. Solche Schmerzen, Mina …«
    Sie zog die Augenbrauen zusammen. Es tat weh, dabei ihr Gesicht zu sehen.
    »So sprang ich in die Kuhle, das dunkle Loch auf einem Feld, mit zusammengekniffenen Augen, in einer Nacht, als niemand mir dabei zusehen konnte, als Nad schlief, vor Erschöpfung. Ich dachte, wenn wir ertrinken, kann es auch nicht schlimmer sein als das, was wir schon erleiden. Dann schlafen wir, geborgen im Finstern, wir beide zusammen, die wir uns nicht trennen konnten. Aber etwas Hoffnung hatte ich wohl doch. Denn ich weiß, dass ich in meinem Kopf redete, während ich sprang, dass ich das Wasser bat und bettelte, meinem Kind zu helfen, damit es nach draußen fand. Und das Wasser - das Wasser hörte mich, in meinem eigenen Kopf. Es hörte mich. Ich weiß nicht, wie lange ich darin blieb, in dieser schwarzen Kälte. Aber als ich mich
wieder ans Ufer zog, mit der letzten Kraft, die ich noch hatte, kam eine tiefe Wehe, die länger dauerte als die Zeit, und mein Kindchen drehte sich. Und während es zur Welt kam, streichelte eine Akelei mein Gesicht, eine Akelei, die dicht am Ufer stand, wie sie es gerne tun … Als wollte sie es trocknen, damit ich nicht so sehr fror. Eine kleine, zarte Akelei, violett wie die Nächte im Sommer.«
    Aglaia … Mina schluckte. Lilja drehte den Kopf und sah sie an, ohne zu lächeln.
    »Rosa hat mit dir darüber gesprochen, nicht wahr? Über meine Aglaia. Und über Zinni und Hyazinth. Eines habe ich immer sonderbar gefunden … Vielleicht weißt du es aus dem Selam. Agleyen sagen in der Blumensprache: Du bist ein Schwächling. Und doch war es der einzig passende Namen für sie. Ja, vielleicht sagen sie das tatsächlich. Aber sie geben einem neue Kraft, damit man stark sein kann. Und es hat mich nicht einmal viel gekostet. Die Taterkuhle war gnädig mit mir, beim ersten Mal. Ich verlor alle meine Haare in dieser Nacht. Nana sagte, es käme von der Schwangerschaft und von den Anstrengungen der Geburt, und ich heulte, dumm, wie ich war.«
    Sie strich sich mit der Hand über eine ihrer langen Strähnen.
    »Sie kamen wieder, wie du siehst. Und meine eigene kleine Akelei wurde das schönste Mädchen, das jemals in einer Sternennacht auf die Welt gebracht wurde. Und ich glaubte …«
    Das letzte Wort verklang in einem spröden Hauch. Lilja wandte den Blick wieder ab. Behutsam ließ Mina das Pappelblatt fallen; es schmiegte sich in eine von Liljas Rockfalten. Sie streckte die Hand aus und streichelte die Falte.

    »Ich glaubte«, sagte Lilja heiser, »dass die Kuhle sie beschützt hätte, meine schöne, wunderbare Aglaia, und dass sie sie immer beschützen würde. Aber so war es nicht. So ist es niemals. Wir können uns einreden, wir wüssten alles über diese Dinge. Aber wir haben nie gesehen, wie die Bäume miteinander tanzen, wenn der erste

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