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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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Wasser war so finster, kein einziges Flämmchen tanzte bis dorthin. Glatt stand es, wie ein Spiegel in einem dunklen Raum, durch den nur Träume zogen und
Gespenster … Sie suchte auf den Gesichtern der Tater nach Liljas lächelndem Silbermund, aber das schwarze Wasser zog ihren Blick zurück, bevor sie ihn gefunden hatte. Nun, Mina, schien es zu sagen. Hast du denn wirklich Mut? Immer noch?
    »Bist du sicher?«, fragte Pipa sie leise, und Mina machte eine verworrene Geste, die gleichzeitig ein Nicken und ein Kopfschütteln war.
    »Niemand ist das, Pipa«, sagte Lilja irgendwo hinter ihr. »Es wäre nie schwierig, Entscheidungen zu treffen, wenn man immer sicher wüsste, was sie einem bringen werden.«
    Jemand, vielleicht Rosa, fing an, Worte zu summen auf einer flachen, eintönigen Melodie.
    » Dük unner, dük unner …«
    Die Landsprache fand ihren Weg in Minas Verstand, ohne dass sie darüber nachdenken musste.
    Tauch, tauch unter …
    Mina erschauderte. Sie hatte immer geglaubt, kaum ein paar Worte von dem seltsamen Dialekt zu verstehen, den die Landbevölkerung sprach; nur das wenige, was sie an der Tür zur Küchentreppe aufschnappte, wenn die Mamsell ihre vornehme Stellung vergaß und mit den Mädchen zankte. Aber jetzt drang jede Silbe klar und unmissverständlich in ihre Ohren.
    Nad nahm den Gesang auf, einen Augenblick später auch Pipa:
    » Dük unner, dük unner / de Welt is din Gram .«
    Das kalte, stille Wasser wartete geduldig.
    Liljas Stimme gesellte sich zu den anderen, voller, deutlicher.
    » Do kanns so nich länger lewen …«

    Etwas wie ein bebendes Schluchzen flatterte stumm aus Minas Mund.
    Zwei Hände ergriffen ihre Handgelenke, Liljas auf der rechten, Nads auf der linken Seite. Sie waren ganz sanft, aber sie hielten sie sehr fest. Minas Finger krampften sich um die Spieluhr.
    Die beiden Hände packten sie noch fester. Grasspitzen kitzelten ihre bloßen Füße, als sie in die Höhe gehoben wurde. Ihr Körper fing an, wie ein Uhrpendel zu schwingen. Zurück, über den festen Boden. Vor, über das schwarze Wasser. Zurück, noch ein kleines Stück weiter. Vor, und die Kühle, die von dem Wasser aufstieg, kroch unter ihr Hemd. Zurück, vor. Zurück, vor. Sie biss sich auf die Unterlippe, bis sie Blut schmeckte.
    Kalt, sagte sie sich vor, kalt, es wird furchtbar kalt sein. Du darfst nicht erschrecken, es ist nur Wasser, kaltes Wasser, eisig kaltes Wasser …
    Dann wurde sie langsam heruntergelassen, Stück für Stück.
    Kälte und Feuchtigkeit krochen über ihre Füße, ihre Knöchel. Ihre Waden und Knie. Das weiße Unterkleid blühte im Wasser unter ihr auf, bauschte sich um ihre Beine. Krampfhaft hielt Mina die Spieluhr in die Höhe, klammerte die Gedanken an das Gefühl des warmen Holzes unter ihren Fingern.
    Noch tiefer hinab, das Wasser umspülte ihre Hüften, den Bauch. Tiefer, tiefer, das Medaillon löste sich sacht von ihrer Brust und begann, unter dem Kleid auf dem Wasser zu treiben. Sie hatte vergessen, es abzunehmen. Aber nun war es zu spät. Wenn nur wenigstens die Spieluhr nicht nass würde.

    Tiefer, tiefer. Im schwarzen Wasser gab es eine Strömung unter der Oberfläche; sie spürte sie jetzt. Ein Saugen und Ziehen am Kleid, an ihren Beinen. Ins Dunkel der Höhle hinein.
    Lilja und Nad hielten sie sicher. Der Gesang der Tater hallte in der Höhle, stark und klar.
    » Dük unner, dük unner,
de Welt is din Gram.
Do kanns so nich länger lewen,
da muss do als davun.«
    Die Strömung nahm zu, zog und zerrte an ihr. Nach unten, tiefer nach unten. Ihr Gesicht war jetzt gerade noch über Wasser. Die eisige Kälte gefror ihr das Herz in der Brust. Sie holte tief Luft und kniff die Augen zu.
    Das Wasser spülte über ihren Mund, ihre Nase. Sie konnte fühlen, wie ihre Haare sich um sie her ausbreiteten wie die Wurzeln von Seerosen. Gleich, sagte sie sich immer wieder. Gleich, gleich ist es vorbei.
    Dann packte die Strömung sie um die Mitte, schwoll an, und aus dem Ziehen wurde ein Reißen. Mina hörte etwas wie einen Aufschrei, über sich, an der Luft. Die Brust wurde ihr eng. Eisige Fäuste schienen an ihren Gliedern zu zerren.
    Nein, schrie Mina stumm. Nein!
    Die Taterkuhle fing an zu brodeln und zu schäumen. Mina zappelte, versuchte, wieder nach oben zu kommen. Lilja und Nad zogen an ihren Armen, verzweifelt trat Mina im Wasser um sich, um ihnen zu helfen. Aber der Sog ließ sie nicht los. Sie hatte keine Luft mehr, Sternchen tanzten durch die Schwärze vor ihren Augen.

    Dann

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