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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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älter bin, fühle ich den Hass nicht mehr. Nicht auf die Gadsche, die mein Kind umbrachten. Sie haben es nicht gewollt. Sie taten, was sie glaubten, dass das
Richtige wäre. Wie ich es gesagt habe, Mina: Meistens raten wir nur … Nein, auch nicht auf die Taterkuhle. Sie hat gewählt, wie die Natur immer wählen will. Die Jungen müssen überleben. Dann sterben auch die Eltern nicht ganz. Und in jedem Jahr blühen meine Sommernachts-Akeleien zu Dutzenden an jedem Teich.«
     
    Sie saßen eine Weile schweigend da. Minas Gedanken kreisten um die wunderschöne Aglaia, die sie nie hatte tanzen sehen, und Hyazinth, den Tatermann mit der Zauberstimme, die sie nie gehört hatte. Sehnsüchtig waren sie, die Gedanken, nach etwas, das vergangen war, ohne dass Mina davon auch nur geahnt hatte.
    Aber unter der Sehnsucht lag ein weiter, dunkler Schatten, und der Sog, den sie die ganze Zeit über spürte, wurde stärker und stärker.
    »Jeder Teich«, sagte Lilja nach einer Weile, »kann eine Taterkuhle sein. Jede Quelle, jedes Wasserloch. Aber eine gibt es, die schwärzer und tiefer ist als sie alle. Eine, die ihr Wasser direkt aus der Schlei trinkt. Die niemals den Himmel gespiegelt hat. Nur Dunkelheit und Träume.«
    Sie klopfte sanft neben sich auf den Hügel unter dem Gras.
    »Die tiefste Taterkuhle«, sagte Lilja, »liegt hier, am Finsteren Stern. Die tiefste - und die mächtigste. Ein König hat seinen letzten Atem in ihr Wasser ausgeatmet. Wenn etwas dir helfen kann, Mina - dann sie.«
    Mina starrte vor sich hin. Sah Schwanenflügel flattern über grauen Gesichtern. Dachte an Zinni, an den kleinen grauen Schwan zwischen den großen. Fühlte das Ziehen in ihrem Inneren, stärker und immer stärker.
    Erst als Liljas Hand sie sacht an der Schulter berührte,
gab sie ihm nach. Sie sah zu ihr auf, und es brauchte keine Blumen für Lilja, um ihr die Furcht, die Müdigkeit und den Zweifel aus den Augen zu lesen.
    »Es tut mir so leid, meine Kleine. Aber ich kann es nicht für dich entscheiden.«
    Das Wasser murmelte, irgendwo in der Tiefe. Kein wirkliches Geräusch, viel zu schwach dafür; aber etwas wie ein sachtes Vibrieren in der Erde. Mina spürte es unter den nackten Fußsohlen.
    Das Ziehen ließ ihr keine Wahl. Sie sah Lilja an, forschte, fragte mit den Augen.
    Glaubst du daran? Glaubst du, dass ich es schaffen kann? Selbst wenn ich nicht einmal weiß, was es ist, das ich tun muss?
    Lilja betrachtete sie lange.
    »Ja«, sagte sie endlich. »Das glaube ich.«
    Mina atmete tief aus.
    Für Ranzau, J. Für Ranzau, H.
    Und für alle Zinnis.
    Dann nickte sie.
    Aber als Lilja aufstand und sie an der Hand fassen wollte, um ihr hochzuhelfen, blieb Mina sitzen und sah bittend zu ihr auf.
    Lilja verstand sie.
    »Man muss nicht unbedingt allein hineinspringen«, sagte sie. »Man darf sich helfen lassen.«
    Da ließ Mina sich von ihr auf die Füße ziehen. Ihre Knie zitterten.
    »Komm«, sagte Lilja, »wir wecken die anderen. Dies musst du nicht alleine tun. Aber es ist besser, du ziehst dein Kleid aus, sonst beschwert es dich zu sehr.«

    Minas Magen verkrampfte sich bei dem Gedanken. Ohne das Kleid war sie so gut wie nackt. Sie trug die langen Unaussprechlichen darunter, das schon. Aber darüber nur ein dünnes weißes Unterkleid ohne Ärmel.
    Sie zwang sich, an Rosa zu denken, ihre langen, braunen Beine, als sie ihren Rock ausgezogen hatte, um Mina aus dem Waisenhaus zu retten.
    Und nickte wieder, zaghaft.
     
    Nad trug sie den Hügel hinunter, als wäre sie ein kleines Kind. Seine Kleider rochen nach Gras und Nachtluft, und die weißen Sterne funkelten in seinen Haaren. Mina schmiegte sich dicht an ihn, wegen der Kälte, die unter ihr dünnes Hemd fuhr, wegen der Scham und wegen der Angst, die sie ins Herz biss.
    Knapp über dem Wasser der Schlei war ein Eingang, den sie bisher nicht gesehen hatte; ein Loch eigentlich nur, in das das blaue Flämmchenwasser in einem dünnen Rinnsal hineinlief. Nad stellte sie auf die Füße, und Mina kletterte hindurch, in die blau leuchtende Finsternis. Die Spieluhr hielt sie mit einer Hand umklammert. So unsinnig es war, sie hatte sie nicht zurücklassen können. Das Wasser gurgelte.
    Die Tater folgten ihr, einer nach dem anderen, Rosa mit Tausendschön auf dem Arm. Schweigend standen sie um Mina, so dicht, dass sie ihre Wärme spürte. Genau dort, wo der Boden zurückwich und das Rinnsal sich verbreiterte zu einem schwarzen Wasser.
    Minas Zehen schraken vor dem Rand der Taterkuhle zurück. Das

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