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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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riss die Taterkuhle sie mit einem einzigen, gewaltigen Ruck Nad und Lilja aus den Händen, und sie wurde fortgezogen, ins Dunkel der Höhle hinein.
    Tauch unter, tauch unter,
die Welt ist dein Gram.
Du kannst so nicht länger leben,
so musst du nun davon …

    Es war mehr als Kälte, mehr als Frost. Mehr als der eisigste Wintertag, an dem die Finger in den Wollhandschuhen steif wurden und der harsche Wind die Tränen in die Augen trieb. Das Wasser drang in Minas Mund, zwischen ihre Wimpern. Sie drückte die Spieluhr an sich, strampelte mit den Beinen, riss die Augen auf. Um sie war nichts als Schwärze.
    Sie konnte nicht schwimmen. Niemand hatte es jemals für nötig befunden, es ihr beizubringen. Damen saßen vielleicht auf zierlichen Stühlchen am Ufer von Flüssen, zeichneten Wellen, stickten Fensterbilder vom Sonnenuntergang über dem Wasser. Aber Damen schwammen nicht.
    Damen ertranken.
    Die Strömung griff nach Minas Haaren mit eiskalten Fäusten. Schlug ihren Kopf hin und her, prügelte auf ihre Glieder ein. Warf sie gegen schroffen Fels, wieder und wieder.
Sie schrie lautlos in feinsten Luftbläschen, die sie nicht sehen, nur an ihren Lippen fühlen konnte.
    Einen wilden, pochenden Herzschlag lang war es ihr so, als teilte sich das Wasser in ihrer Nähe mit Spritzen und Rauschen, als wäre sie nicht mehr allein in der Schwärze. Etwas berührte sie, einen Augenblick nur, etwas, das sich anfühlte wie weicher Stoff, sonnenwarm selbst noch im eisigen Wasser. Etwas wie grünschattige Bäume an einem Juninachmittag … Lilja?
    Aber die Strömung riss sie weg von der Berührung, weiter und weiter, tiefer und tiefer. Nach unten ging es.
    Noch immer umklammerte sie die Spieluhr. Unter dem Brausen des Wassers kam es Mina so vor, als drangen leise, feine Töne zu ihr, Bruchstücke, Fetzen der alten kleinen Melodie. Sie hörte sie noch, als ihre Füße felsigen Grund berührten.
    Mit aller Kraft stieß Mina sich ab. Schoss nach oben, die Spieluhr über sich in die Höhe gereckt wie eine seltsame Fahne.
    Der hölzerne Kasten brach als Erstes durch die Wasseroberfläche. Als Mina hinterherkam, japsend, nach Luft schnappend, fielen ihr die Tropfen aufs Gesicht, die aus der Spieluhr liefen. Sie trat nach dem Wasser, um nicht wieder unterzugehen.
    Die Strömung zog sie weiter mit sich fort. Sie hörte ein gellendes Rufen, sehr weit entfernt. Dann rauschte nur noch das Wasser unter ihr.
    Sie war allein.
     
    Wie lange sie dahintrieb, umhergeworfen wurde, Wasser schluckte und hustete, wusste sie nicht. Die Höhle der
Taterkuhle nahm kein Ende. Aber ganz allmählich beruhigte sich die Strömung, und gleichzeitig wurde es heller. Nach und nach konnte Mina Felsen erkennen, neben und über sich. Wasser glitzerte auf dem rauen Stein. Oder war es gar kein Wasser?
    Je weiter sie trieb, desto heller wurde es. Und das Licht kam von den Wänden, der Decke. Adern durchzogen den Felsen, Adern, in denen es glänzte und glimmerte. Mit weit offenen Augen drehte Mina sich im Wasser um sich selbst.
    Es mussten Edelsteine sein. Farblose Bänder, nicht breiter als ein kleiner Finger, wechselten sich mit bunten ab, roten, grünen, tiefblauen. Sie funkelten und strahlten im grauen Stein. Aber da war kein Licht, das sich in ihnen brach. Sie leuchteten aus sich selbst heraus.
    Wie in einem Traum trieb Mina unter dem Glitzern. Das Wasser trug sie, jetzt, wo sie kaum noch strampelte. Sie hielt die Spieluhr über sich, und das Licht von den Wänden spiegelte sich in den Splittern auf ihrem Deckel wider. Als begrüßten die Kristalle ihre unterirdischen Verwandten.
    Irgendwann hörte die Strömung ganz auf, und die Taterkuhle endete in einem schwarzen Becken. Mit zitternden Armen gelang es Mina, sich am brüchigen Felsrand hochzuziehen, sich vom Wasser auf den Felsen zu werfen. Das Unterkleid klebte ihre Beine zusammen, fast wie ein weißer Nixenschwanz. Keuchend hockte sie da, vornübergebeugt, und das Wasser lief ihr aus den Haaren, dem offenen Mund.
    Aber ihr Atem war nicht das einzige Geräusch.
    Unter dem Glitzern bewegten sich zarte Schemen. Sie sah sie nicht; sie schienen immer hinter ihr zu sein, neben ihr, im Augenwinkel. Aber sie ahnte ein weiches Huschen
um sich her, sie hörte kleine Füße, die auf nassem Felsen tappten. Und Stimmen. Viele, viele Stimmen. So leise wie das Wasser, das still in seinem Becken lag. So uralt wie der schimmernde Stein.
    Sie empfand keine Angst.
    Deutlich wie den eigenen Herzschlag fühlte sie, dass die

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