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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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den kleinen Kasten
einsam am Beckenrand stehen zu sehen, umringt, umwirbelt von feinen Schemen, dass sie sich zwingen musste, ihm den Rücken zu kehren.
    Aber jetzt veränderten sich unter dem Wispern und Huschen der Unterirdischen die Schatten im Raum, und Mina konnte geradeaus einen steinigen Pfad erkennen, der aus der Höhle führte. Auch dort glitzerte und funkelte es, und die schwachen Schemen trieben darüber hin.
    Nun geh , flüsterten die uralten Stimmen. Geh, dein Weg ist bereit.
    Das Kleid tropfte hinter ihr eine Spur auf den Boden, als Mina ihnen folgte.
     
    Unter der funkelnden Decke wanderte sie dahin. Obwohl sie durchnässt war bis auf die Haut, fror sie noch immer nicht, und obwohl der Boden steinig war, schmerzten ihre Füße nicht. Das Leuchten der Steine und das Murmeln der Unterirdischen umgaben sie von allen Seiten.
    Es konnte eine Stunde sein, die sie so ging; eine Stunde, oder zwei, oder zehn. Allmählich spürte sie, dass der Boden leicht anstieg. Das Glitzern in den Wänden wurde schwächer. Verlosch schließlich ganz. Alles, was blieb, war ein trüber Schein irgendwo weit vor ihr; ein winziger Flecken Licht, denn sie mit einer Hand umspannen konnte.
    Sie fühlte, dass die Unterirdischen nach und nach zurückblieben. Unter ihren Sohlen verwandelte der raue Fels sich in glattere Flächen, als wäre er hier vor langer Zeit von vielen Füßen weichgetreten worden. In den Wänden ahnte sie jetzt Öffnungen wie von Türen; Hohlräume, weitere Höhlen. Aber sie folgte dem Lichtfleck, der sie weiter nach oben führte.

    Aus dem glatten Felsen wurden Mauersteine. Die Fugen und Kanten drückten sich in ihre Fußsohlen, und der letzte Hauch von Wasser in der Luft verlor sich in staubiger Trockenheit. Die Schemen und das Wispern waren ganz verschwunden.
    Es musste ein alter, lang leer stehender Keller sein, in den sie jetzt kam. Sie stieß mit den Knien gegen wirre Steinpyramiden, die vielleicht einmal Wände gewesen waren; kletterte im Dunkeln darüber. Immer dem Licht nach.
    Am Ende war es ein Loch in einer gemauerten Wand, aus dem die Helligkeit ihr entgegenfiel. Die Wand war nicht alt, Mina roch noch Spuren des Mörtels in der Luft; er musste nicht gut oder nicht trocken genug gewesen sein, denn das Loch war durch herausbrechende Steine entstanden. In einem kleinen Haufen lagen sie vor der Mauer und knirschten unter ihren Halt suchenden Zehen. Es gab keinen Weg, der um die Wand herumführte. Nur das Loch.
    Mina drehte sich um. Hinter ihr war die Dunkelheit schon in ihren Schlummer zurückgesunken. Nicht einmal ihre Schritte hallten ihr nach. Vielleicht würde noch hier und da ein Stäubchen wehen, das sie aufgewirbelt hatte, ein paar Herzschläge lang. Dann würde wieder Stille herrschen.
    Danke, sagte sie stumm in das schweigende Dunkel hinein.
    Eine Antwort hörte sie nicht. Sie wartete einen Augenblick, weil es ihr vage unhöflich erschien, es nicht zu tun. Aber sie wusste, dass die Unterirdischen längst in ihre glitzernden Gänge zurückgekehrt waren. Sie war allein in dem Keller.
    Und ganz allmählich, Schritt für Schritt, kam die Angst
zurückgeschlichen. Wie ein alter, böswilliger, anhänglicher Bekannter.
    Mit beiden Händen griff sie in das Loch, zog sich nach oben. Mauersteinkörnchen und Mörtel lösten sich kratzend, fielen ihr ins Gesicht, in die Augen. Sie krallte die Zehen in Fugen und winzige Ritzen, verkeilte die Ellenbogen in dem Loch.
    Es war so klein, kaum groß genug für ein Kind. Für Mina reichte es gerade noch.
    Auf der anderen Seite blendete sie das Licht nach der staubigen Düsternis, obwohl es nicht hell war. Sie fiel auf Hände und Knie in einen kleinen, kalten, steinernen Raum, verteilte losen Mauerschmutz auf dem saubergefegten Boden. Stieß mit dem Fuß gegen einen verlassenen Metalleimer, in dem eine Maurerkelle klirrte und klapperte, dass sie erschreckt den Atem anhielt. Aber nichts rührte sich.
    Als sie sich aufrichtete, erkannte sie eine altmodische Henkellampe, die an einem Haken in der Decke hing. Von ihr ging der trübe Schein aus, der sie durch den verfallenen Keller geführt hatte. Darunter standen Regale an den niedrigen Wänden, voller verschlossener Holzkisten mit weißen, ordentlich gedruckten Aufschriften. Nachdem sie die Augen frei geblinzelt hatte, waren sie gut lesbar und blieben doch für Mina rätselhaft:
    Morphin. 200 Amp. à 0, 02 in wässr. Lösg.
    Sie kannte diese Art von abgehackten Silben, auch wenn sie nicht verstand, was sie bedeuteten.

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