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Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan

Titel: Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lilach Mer
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hören, wenn sie schlafen.«
    Sie lachte leise, als erinnerte sie sich an eine flüsternde Wiese im Mondschein.
    »Aber dieses Buch«, sagte sie, »erzählt nicht von der Sprache, die sie untereinander sprechen. Es erklärt das, was die Menschen verstehen, wenn sie die Blumen betrachten. Wenn sie sie sich gegenseitig schenken, Sträuße damit binden. Das ist ein Selam.«

    Zinni wühlte die Hände in die Erde. »Dann steht überhaupt nicht drin, wie die Blume da drüben heißt?«
    Lilja hob den Kopf.
    »Die kleine, rote Blume? Aber Zinni, dafür willst du in einem Buch nachsehen? Hörst du deinen Tanten nicht zu, wenn sie versuchen, dir Dinge beizubringen?«
    Sie gab Mina die verflochtenen Halme. Das dünne Band war erstaunlich fest. Mina gab sich Mühe, es gleichmäßig in die vielen Ösen zu fädeln.
    »Ich kenne sie auch nicht«, sagte sie, um Zinni zu helfen. »Erst dachte ich, es wäre vielleicht ein seltsames Stiefmütterchen.«
    »Stiefmütterchen?« Lilja schüttelte den Kopf, dass ihr die Haarsträhnen in den Schoß fielen. »Nein, das ist keine Gartenblume. Sie ist wild und selten. Wo sie blüht, kann man Schätze finden. So sagen die Alten.«
    »Schätze?« Zinni zog aufgeregt die Brauen hoch. »Du meinst, so wie Gold und Silber und Edelsteine?«
    » Silber, Gold und Edelsteine / schönster Schatz, und du bist mein …«, summte Lilja lächelnd. »Ja, vielleicht sogar solche Schätze, Zinni. Es kommt wohl immer darauf an, was man braucht. Vielleicht auch auf das, was man sucht. Ich weiß es nicht genau. Ich habe nie nachgesehen.«
    »Ist sie hier , oder ist sie dort ?«, fragte Zinni, und Lilja lachte.
    »Sie ist hier und dort. Es spielt gar keine Rolle. Aber das, was sie verbirgt, das findet man wohl nur dort . Im Wald, wo sie unter den Bäumen blüht.«
    Mina ließ das Grasband sinken. Der Kopf schwirrte ihr. Sie sah auf das Buch, die rätselhaften Worte; den kleinen Bach, aus dem sie vor nicht einmal einer halben Stunde ein
Kielkropf angespuckt hatte. Sie dachte an den Doktor, und Kälte zog in ihr auf.
    »Könnte man«, fragte sie langsam ohne Lilja anzusehen, »alles finden, was man sucht, ich meine … Hilft sie allen Menschen, oder nur … nur besonderen?« Wie euch, hatte sie noch sagen wollen, aber sie brachte es nicht über die Lippen. Vielleicht wäre es wieder falsch und verdreht herausgekommen.
    »Nur besonderen? Du meinst, ob sie dir auch helfen würde?«
    Lilja strich ihr sacht über die Haare, glättete den Zopf ihren Rücken hinunter.
    »Ich glaube, es kommt darauf an, ob man sie denn annehmen will, die Hilfe. Vielleicht braucht es nur das, um besonders zu sein. Und, Mina …«
    Sie legte ihr zwei Finger ganz leicht unter das Kinn, drehte ihr sanft den Kopf herum und sah sie eindringlich an.
    »Ob man den Preis bezahlen will. Denn diese Dinge haben immer ihren Preis. Immer. Es ist für keinen Menschen der Gleiche, und für keinen gleich hoch. Aber einen Preis gibt es immer. Manchmal sogar mehrere.«
    Die Worte sprangen aus Minas Mund wie von selbst.
    »Ich will«, sagte sie, keuchend beinahe, denn sie schien auf einmal kaum noch Luft zu bekommen, als renne sie sehr schnell einen steilen Berg hinauf, »ich will wissen, was mit meinen Brüdern geschehen ist. Ich will wissen, wohin der Doktor sie gebracht hat. Wohin er mich bringen wollte. Und was mit meiner Tante geschehen ist. Ich will wissen, wie die Hunde mich finden, und warum er mich mit ihnen jagt. Ich will …«
    Sie verstummte und sah Lilja hilflos an.

    »Das ist sehr viel für ein so junges Mädchen«, sagte Lilja ruhig. »Ich glaube nicht, dass die Blume dich zu einer Antwort auf all diese Fragen führen kann. Aber vielleicht ja ein kleines Stück auf dem Weg dorthin. Wenn du dir wirklich sicher bist, dass das der Weg ist, den du von hier an gehen willst.«
    Ihre Augen forschten. Unter dem dunklen, weiten Blick fühlte Mina sich sehr klein. Und wie bei einem kleinen Kind, so trotzig und jämmerlich klang es, als ihr Mund von selber sagte:
    »Ich will.«
    Liljas Blick hielt sie noch ein paar Wimpernschläge lang fest. Dann neigte sie den Kopf und nickte.
    »Hast du Mut, Mina?«, fragte sie.
    Minas wirbelnde Gedanken stockten. Mut? Wie seltsam, dachte sie. Brauchte ein Mädchen denn Mut? Anmut vielleicht, ja, aber das war etwas anderes. Anmut brauchten Mädchen, Grazie, gute Manieren. Mut war etwas für Jungen. Mut brauchte man für Zäune, hohe Bäume, ein starkes Pferd. Oder … Minas Gedanken stockten erneut. Oder für eine

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