Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
Waden machten ihr einen ordentlichen Eindruck. Es waren bestimmt keine Kartoffelstampfer, wie die Knechte auf dem Gut manchmal abfällig die Beine der Küchenmädchen nannten. Man konnte sich vielleicht nicht unbedingt vorstellen, dass sie eines Tages in eleganten Abendschuhen aus Samt enden würden; dazu schienen sie ihr zu kräftig, zu gerade. Aber in etwas Flacherem, mit einer kleinen Schleife …
»Du solltest sie waschen«, sagte eine Jungenstimme, und als sie herumfuhr und gleichzeitig das Kleid nach unten zerrte, stand Zinni neben einem Baum wie ein kleiner Waldkobold. »Wenn du schon hier sitzt. Sie sind ziemlich dreckig.«
»Wirst du mir jetzt jedes Mal Bescheid geben, wenn ich schmutzig bin«, sagte sie unfreundlich, aber er lachte nur, und sie konnte sehen, dass er Recht hatte. An den Fußsohlen war von milchweißer Haut keine Spur mehr zu entdecken, sie waren schwarz und braun von Erde.
Das Wasser war so kühl und so leicht, und so anders als daheim, wenn sie in der großen Porzellanwanne badete. Es strich an ihrer Haut entlang wie kalte, weiche Luft, wenn der Wind von der Schlei herwehte. Sie wackelte mit den Zehen, wühlte ein wenig von dem Schlamm auf, der zwischen den Kieselsteinen saß.
»Jetzt machst du es auch dreckig«, sagte Zinni.
»Ich weiß, ich bin ein dummes Gadsche-Mädchen.«
Mina tauchte auch die Hände in den Bach, und beinahe sofort ließ das Jucken nach. Warum war sie nicht früher darauf gekommen?
Zinni setzte sich neben sie.
»So dumm nicht«, sagte er und stupste sie mit der Schulter an. »Auf dem Feld, da warst du nicht dumm. Zuerst schon, aber dann nicht mehr. Pipa hat nicht geglaubt, dass du es schaffst. Ich schon.«
Mina bewegte die Hände im Wasser hin und her. Die Haut sah immer noch rot und trocken aus, fast wie von einem Sonnenbrand. Aber im Gesicht und auf dem Kopf, die so lange der Mittagssonne ausgesetzt gewesen waren, spürte sie nichts, kein Brennen, kein Jucken.
»Ich weiß ja nicht einmal«, sagte sie leise, »was ich eigentlich geschafft habe. Da war der … Hund«, sie stockte und schauderte, »und dann Karol und dann plötzlich ihr …«
»Nun ja«, sagte Zinni, »das ist es doch eben. Ein dummes Gadsche-Mädchen hätte uns nicht gehört, als wir im geheimen Wald waren. Und hätte es auch nicht hineingeschafft.«
Da war ja gar kein Wald, dachte Mina, aber es war ein mechanischer Gedanke, der sich von allein abspulte. Darunter und darüber erinnerte sie sich zu genau an das dunkelgrüne Licht, das Rauschen über ihrem Kopf. Sie dachte an das Gespräch mit Lilja, hob den Kopf und lauschte. Ja, da war etwas, sehr weit entfernt und schwach nur; ein dumpfes Grollen, wie es einem Gewitter vorausging. Oder einem Bellen.
»Der Doktor hat mit den Hunden zu tun«, sagte sie, und Zinni nickte, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. »Ich weiß nicht, wie, aber er hat mit ihnen zu tun. Und ich glaube, sie …« Es war blühender Unsinn, und trotzdem musste sie es aussprechen. »Sie wittern mich irgendwie, wenn ich … wenn ich Angst habe.«
Sie sagte nicht, wovor sie sich am meisten fürchtete. Aber Zinni schien sie auch so zu verstehen.
»Das tun Hunde doch immer«, sagte er und warf einen Zweig ins Wasser. Er schaute ihm hinterher, wie er davontrieb, und Mina tat es ihm nach.
Eine Weile saßen sie schweigend, und der Bach kitzelte Minas Zehen. Das Gefühl wurde stärker, je länger sie dort saß; und es kam ihr auch so vor, als würde das Wasser unruhiger. Die kleinen Wellen hüpften höher, an manchen Stellen bildete sich sogar ein leichter weißer Schaum, der gleich wieder verflog.
»Zinni«, sagte Mina, »sind Fische in dem Bach? Ich glaube …«
Etwas Festes streifte an ihrem rechten Bein vorbei, sie schrie leise auf und zog die Füße hoch. Das Wasser schäumte und sprudelte.
Zinni lachte. »Der Bach ist viel zu klein für Fische. Das sind bloß Kielkröpfe, die nach Hause schwimmen.«
Mina starrte auf das Wasser. Zwischen den Wellen tauchten winzige, graue Glieder auf, paddelnde Ärmchen und Beinchen, wie mit schuppiger Fischhaut überzogen. Sie hielt den Atem an und beugte sich vor, und ein Kopf erschien an der Oberfläche. Er war nicht größer als ihre Faust, schrumpelig und faltig und grau, und der hässlichste Kopf, den sie je gesehen hatte.
»Was glotzt du!«, schnarrte eine Stimme, spröde wie verwittertes Holz, und dann spitzte sich der hässliche Fischmund in dem schrumpeligen Gesicht, und der Kielkropf spie ihr einen
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