Der siebte Schwan - Mer, L: Der siebte Schwan
dicken Wasserstrahl gegen die Stirn.
Sie prustete, Zinni gluckste vor Lachen. Als sie sich das
Wasser aus den Augen gerieben hatte, war der Kopf verschwunden, und der Bach beruhigte sich wieder.
»Haha«, lachte Zinni, »wie du guckst! Sie kriegen immer schlechte Laune, wenn sie entdeckt werden und wieder zurückmüssen. Besser, man starrt sie nicht so an.«
»Das weiß ich jetzt auch.« Minas Ärger war stärker als ihr Erstaunen, er legte sich wie rauer Sand über das Glitzern des hässlichen Wunders im Wasser. Sie war zu erwachsen, um sich ständig von einem kleinen Jungen zurechtweisen zu lassen. »Und du brauchst mir nicht zu erklären, was Kielkröpfe sind. Wechselbälger, das sind sie. Die Zigeuner stehlen in den Dörfern die richtigen, hübschen Kinder und legen dafür die Kielkröpfe in die Wiege. Und wenn man sie loswerden will, muss man …«
Sie fühlte ihre Augen groß und rund werden und schlug sich auf den Mund. Der Ärger wehte davon, und das Staunen darunter zerbröckelte.
»Oh, Zinni«, flüsterte sie zwischen ihren Fingern hindurch. »Zinni, ich habe es nicht so gemeint …«
Der Junge schaute auf den Bach.
»Ich weiß schon.« Er zuckte die Schultern, aber es kam Mina mühsam und schwerfällig vor; wie bei einem alten Mann. »Die Gadsche reden eben so. Aber du solltest das besser nicht sagen, wenn Lilja dabei ist. Erzähl ihr am besten gar nicht davon. Es macht sie nur traurig.«
Mina wühlte die Füße in die weiche Erde. Es war gleich, dass sie wieder schmutzig wurden. Wenn wenigstens dieser kleine Teil von ihr sich vor Scham irgendwo verkriechen konnte.
»Keine Sorge«, sagte sie, »das tue ich nicht. Ich verstehe schon.«
»Glaubst du?« Zinnis dunkle Augen wirkten tief wie Brunnen. »Sag ihr einfach nichts davon.«
Mina nickte stumm.
Sehr unbehaglich saß sie jetzt neben dem schweigenden Taterjungen. Sie blickte auf das Wasser, das wieder ruhig und munter floss. Ragte da nicht doch noch ein winziger, grauer Ellenbogen hinter einer Welle hervor? Aber alles war friedlich und still, das Plätschern erzählte nur wieder seine unverständlichen Wassergeschichten. Mina schaute auf das andere Ufer.
»Sieh mal«, sagte sie schüchtern, »die rote Blume da. Kennst du sie? So eine habe ich noch nie gesehen.«
Zinni machte den Hals lang.
»Ich auch nicht.« Seine Stimme klang nicht anders als sonst. Nur ein kleiner aufgeregter Ton mischte sich hell darunter. Mina hörte es voller Erleichterung.
»Nein, die kenne ich nicht. Ich weiß eigentlich alle Blumen, aber die …«
Er drehte sich zu ihr um, und jetzt leuchteten seine Augen wieder.
»Weißt du«, sagte er eifrig, »du hast doch dieses Buch mitgebracht, nicht? Ich habe es gesehen, als Lilja es zu den anderen Sachen brachte. Vorne ist ein Bild von Blumen drin - ein Blumenbuch, oder? Kannst du nicht nachgucken, was das für eine ist?«
Er sprang schon auf, während sie zögernd nickte.
»Ich hole es dir!«
Mina sah ihm nach, wie er zwischen den Bäumen davonhüpfte. Sie war sich nicht sicher, ob sie das Buch der Tante hier öffnen wollte; hier, im Taterlock, wo alles weich und friedlich war und keine Sonne in leeren Spiegeln
gleißte. Aber wenn es ihn von ihren dummen Worten ablenkte …
Und die Blume sah wirklich eigenartig aus. Nicht groß, kaum höher als ein Löwenzahn. Aber sie hatte eine leuchtend rote Farbe, und die Blütenblätter breiteten sich rund und voll dicht über dem Boden aus, obwohl sie im Schatten stand.
Zinni war schnell wieder da, nicht das Buch, sondern ein kleines Bündel aus grünem Stoff unter dem Arm, gerade solchem Stoff wie Liljas schönes Kleid. Als er es Mina in die Hände drückte, merkte sie, dass oben eine Kordel eingezogen war, und als sie sie öffnete, fand sie nicht nur das Buch, sondern auch ihre Stiefel und die Spieluhr darin. Daneben steckte ein Knäuel bunter Flicken, aus dem eine Nähnadel hervorsah.
»Das ist deins«, sagte Zinni und schaute neugierig auf das geschlossene Buch. »Dein Bündel, meine ich. Wo sollst du sonst deine Sachen unterbringen, hat Lilja gesagt. Und wie dein schönes Kleid in Ordnung bringen. Sehen wir es uns jetzt an?«
Mina strich mit den Fingerspitzen über den schimmernden Stoff.
»Ja«, sagte sie und lächelte. »Jetzt sehen wir es uns an.«
Sie legte sich das Buch auf die Knie und schlug es auf.
Da stand es wieder, das merkwürdige Wort, das sie schon auf dem Umschlag gesehen hatte.
» Selam «, las sie mit dem Finger unter den Buchstaben, und sie
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